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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Camilleri
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Kugeln ein, und ein Handgemenge bahnte sich an zwischen denen, die Don Anselmo recht gaben, und denen, für die er im Unrecht war, weshalb es eine gute halbe Stunde dauerte, bis endlich wieder Ruhe einkehrte.
    «Die Abstimmung muss wiederholt werden. Die Signori sind gebeten, über die Aufnahme von Avvocato Matteo Teresi in den Verein abzustimmen. Eine schwarze Kugel bedeutet Nein, eine weiße Ja. Anwesend sind neunundzwanzig Mitglieder, da Barone Lo Mascolo ausrichten ließ, er könne nicht teilnehmen, das Gleiche gilt für Dottor Bellanca und Don Anselmo Buttafava, der …»
    «… anwesend ist. Demnach sind die Stimmberechtigten dreißig an der Zahl», ergänzte Don Anselmo, durch eine Seitentür in den Saal tretend.
    Colonnello Petrosillo, der sich noch immer ein nasses Taschentuch auf die Nase drückte, stand auf und sagte:
    «Suche Ort.»
    Alle verstummten verlegen, weil sie sich fragten, welchen Ort der Colonnello meinte und was er dort suchte. Der einzige, dem es dämmerte, war wie üblich Don Stapino Vassallo.
    «Colonnello, bitte nehmen Sie das Taschentuch vom Mund und wiederholen Sie, was Sie gesagt haben.»
    Der Colonnello gehorchte.
    «Ich ersuche um das Wort.»
    «Gewährt», sagte der Vorsitzende.
    «Hiermit erkläre ich öffentlich, dass Don Anselmo Buttafava sich als von mir geohrfeigt zu betrachten hat, mithin zum Duell herausgefordert ist. Zu meinen Sekundanten ernenne ich …»
    «Wollen wir später darüber reden?», fragte der Vorsitzende.
    «Einverstanden», antwortete der Colonnello.
    Man stimmte ab.
    Aus der Urne kamen neunundzwanzig schwarze Kugeln, also neunundzwanzigmal Nein, und eine weiße Kugel. Es war kein einstimmiges Urteil, daher musste die Sache erneut diskutiert und dann noch einmal abgestimmt werden, denn für jede Entscheidung, die ein neues Mitglied betraf, war Einstimmigkeit vorgeschrieben.
    Don Liborio Spartà beschloss einzuschreiten.
    «Signori, da heute Sonntag ist, läutet es in einer halben Stunde zu den Mittagsmessen. Und wir alle müssen in die Messe gehen. Ich schlage deshalb eine Abweichung von der Verfahrensordnung vor, um die Prozedur abzukürzen. Sind alle einverstanden?»
    «Ja! Ja!», tönte es von vielen Stimmen.
    «Satzungsgemäß muss bekanntlich jede Kandidatur eines neuen Mitglieds von zwei Mitgliedern des Vereins mit über fünfjähriger Mitgliedschaft beantragt werden. Im vorliegenden Fall haben Barone Mascolo, abwesend, und der anwesende Marchese Don Filadelfo Cammarata die Kandidatur von Avvocato Matteo Teresi unterstützt. Ganz offensichtlich kann die weiße Kugel von niemand anderem als Marchese Cammarata stammen, den ich hiermit höflich bitte …»
    «Ganz offensichtlich?! So ein hirnverbrannter Blödsinn!», rief dieser wütend aus.
    Der Marchese war ein Mann von fünfzig Jahren, dürr wie ein Strich, verheiratet und Vater von acht Mädchen, allesamt brave fromme Kirchgängerinnen, er selbst dagegen reizbar, immer im Streit mit jedermann und nicht sparsam mit unflätigen Worten. Sogar wenn er allein war, sah man ihn lebhaft gestikulieren: er disputierte mit sich selbst.
    «Signor Marchese, die Logik führt mich …»
    «Es ist mir scheißegal, wohin die Logik Sie führt», erwiderte der Marchese, indem er sich aufrichtete, «ich erkläre hiermit, dass ich beim ersten wie beim zweiten Mal mit der schwarzen Kugel abgestimmt habe!»
    Alle wunderten sich.
    «Aber warum? Sie haben den Avvocato doch vorgeschlagen!»
    «Und dann habe ich meine Meinung eben geändert, na und? Darf man das nicht?»
    «Ich weiß, warum Sie Ihre Meinung geändert haben!», verkündete Don Serafino Labianca mit einem wissenden Lächeln vom anderen Ende des Saales.
    Dass die beiden sich nicht ausstehen konnten, war allgemein bekannt. Der Liberale und Freimaurer Don Serafino und der Marchese, ein kirchentreuer Papist, waren überdies wegen eines nun schon seit zwanzig Jahren andauernden Prozesses entzweit, bei dem es um den Besitz eines Kirschbaums ging.
    Schlagartig wechselte die Gesichtsfarbe des Marchese von Rot ins Grünliche. Damals gab es noch keine Ampeln, andernfalls hätte der Vergleich perfekt gepasst.
    «Sagen Sie mal, Sie Serafino, engelhaft allerdings bloß dem Namen nach, denn in Wirklichkeit sind Sie ein Teufel mit Hörnern, was unterstellen Sie mit dieser Bemerkung?»
    «Signori, ich muss doch sehr bitten!», flehte der Vorsitzende.
    Don Serafino blieb ungerührt.
    «Ich unterstelle gar nichts. Sie haben einen Prozess gegen Padre Raccuglia angestrengt, weil er
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