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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer
Autoren: Andrea Schwarz
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Das Ziel ist nicht das Unterwegs-Sein an sich. Das Unterwegs-Sein ist notwendig, um das Ziel zu erreichen. Das Unterwegs-Sein darf aber nicht wichtiger als das Ziel werden.
    Es gibt Wege, die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende alt sind - und wenn sie sich nicht irgendwie »bewährt« hätten, gäbe es sie nicht mehr. Es scheint Orte und Wege zu geben, die alle Zeitströmungen überdauern - und gerade dadurch zeigen, daß es eben nicht egal ist, wohin man geht, wo man sich aufhält. Es gibt Orte und Wege, die in sich eine Kraft bergen, die sich unserem heutigen verstandesmäßigen Denken entzieht. So mag es auch nicht von ungefähr kommen, daß sich viele christliche Kirchen und Klöster genau dort angesiedelt haben, wo schon vorchristliche Kulturen solche Kräfte erspürt und verehrt haben.
    Santiago de Compostela ist solch ein Ort - und »el camino«, wie der Weg dorthin liebevoll genannt wird, ist solch ein Weg.
    Santiago - im Nordwesten Spaniens gelegen, legendäre Grabstätte des Apostels Jakobus, seit Jahrhunderten Ziel von Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, um dort Antworten auf ihre Fragen zu finden, Vergebung für ihre Sünden, Hoffnung für ihre Zukunft. Und es wurde ein Pilgerweg aus den Schritten, die Menschen auf dieses Ziel hin gemacht haben.
    Immer noch und wieder neu sind Menschen nach Santiago unterwegs - und verbinden eine Sehnsucht, einen Traum damit. Damit bleibt der »camino« ein lebendiger Weg, er ist und wird, weil er ein Weg der Sehnsucht nach Leben ist. Und damit kommt Gott ins Spiel, möge die Sehnsucht auch die noch so seltsamsten Namen haben.
    Ich bin diesen Weg gegangen zu einem Zeitpunkt meines Lebens, an dem ein »Übergang« angesagt war. Ich hatte mich neu für meinen Glauben, für diese Kirche, für Gott entschieden. Ich wollte mir diese Auszeit gönnen, um dieser neuen Ausrichtung meines Lebens Raum zu geben. Ich wollte »danke« sagen für all das, was mir der Gott, an den ich glaube, in den letzten Jahren geschenkt hat.
    Aber es kam anders, als ich gedacht hatte. Was dieser Weg nach Santiago bei mir ausgelöst hat, bewirkt hat, hat mich selbst am meisten überrascht. Und ich bin auch jetzt, wenn ich dies schreibe, noch überhaupt nicht »fertig« damit. Der camino, das war ein unendlich großes Geschenk - und ein Geschenk Gottes. Da bin ich mir sicher.
    Damit ist auch dieses Buch weniger ein minutiöser Reisebericht als vielmehr ein spirituelles Tagebuch. Es will nicht die unzähligen Reiseführer über den camino mit einem weiteren Buch ergänzen, sondern es will dazu einladen, sich selbst auf den Pilgerweg des je eigenen Lebens zu machen. Dazu muß man nicht leibhaftig nach Santiago gehen. Es geht um eine Haltung und Einstellung zum Leben. Es geht um den Pilgerweg im eigenen Herzen. Was ich in Astorga erlebt habe, kann Ihnen in Freising passieren.
    Dazu will dieses Buch einladen. Ich kann Ihnen nicht versprechen, daß dieses Buch nichts mit Ihnen macht - wenn Sie es lesen. Aber ich wollte es Ihnen wenigstens vorher gesagt haben.
     
     
    Ostersonntag 1998
    ANDREA SCHWARZ
     

 

Samstag, 24.5.
     
    Bayonne, 6.15 Uhr
    Ja, da sitz ich also nun in der Bahnhofsgaststätte in Bayonne in Südwestfrankreich und warte auf den Zug nach St.-Jean-Pied-de-Port.
    Eigentlich hatte ich schon selbst nicht mehr daran geglaubt, daß ich doch noch wegkommen würde: Das neue Buch wollte nicht fertig werden, da gab es noch einige Kurse und Seminare, die ich zu leiten hatte, Aufräumaktionen in der Wohnung - und all die Dinge, die es zu organisieren gilt, wenn man fast sieben Wochen fort ist. Die Zu-erledigen-Liste nahm in den letzten Tagen überhaupt kein Ende,... - andere nehmen auf dem Weg nach Santiago ab, ich habe in den Tagen davor schon 2 kg abgenommen.
    Und natürlich ist der Rucksack zu schwer... - als ich ihn das erstemal wog, waren es erschreckende 15 kg. Und dabei war die Packliste seit langem bedacht, ich hatte gestrichen, was ich meinte, streichen zu können. Gut, im Moment sind noch die Wanderschuhe drin und das Buch, das mir Angelo mitgegeben hat, war auch nicht eingeplant - aber da hatte ich irgendwie das Gefühl, es sei wichtig. Ich habe daheim dann noch mal viel aussortiert- und außer dem Teelöffel, der in irgendwelchen Tiefen des Rucksacks liegt, fällt mir im Augenblick auch nichts mehr ein, was ich noch hätte zuhause lassen können.
    Die Aussicht, heute abend in irgendeiner Art von Schlafsaal in einem Refugio zu übernachten und morgen früh dann die Pyrenäen
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