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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer
Autoren: Andrea Schwarz
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anzugehen, scheint mir im Moment wenig verlockend. Vorhin habe ich schon mit dem Gedanken gespielt,
    den Ratschlag von Paul zu befolgen und hier erstmal einen Ausruh- und Schreibtag einzulegen, bevor es weitergeht. Schließlich war das Chaos groß genug, aus dem ich gestern erst raus bin. Vielleicht wäre es gut, die »Voreindrücke« zu sichten und festzuhalten, damit Raum für Neues wird.
    Immerhin, der Kaffee und das Croissant in der Bahnhofsgaststätte haben gut getan - und die Müdigkeit wird mich heute wohl schon noch begleiten...
    Bilder und Eindrücke der vergangenen Stunden huschen blitzlichtartig durch den Kopf: Die zahlreichen jungen französischen Soldaten, die in Saarbrücken zugestiegen sind, Heimfahrt zum Wochenendurlaub, und die Magazine mit »Pin-up-girls« kreisen ließen, während ich bei Jean Vanier etwas über die Sehnsucht der Menschen lese, in ihrem Person-Sein geliebt zu werden; die seltsame Atmosphäre gestern am späten Abend in der Pariser Metro, die Begegnung mit den drei jungen Männern aus Naumburg und Halle, die in den camino ab Pamplona einsteigen wollen und zwölf Tage Zeit haben, der eine hat irgendwann mal das Büchlein »Auf dem Wege« von Anselm Grün in der Hand und erzählt, daß sie daraus jeden Morgen einen Impuls gestalten wollen; der englische Fotograf mit seiner kleinen Gruppe von Assistenten und Fotomodellen, die nach Biarritz wollen, und der mich darum bittet, mit einem aus der Gruppe den Liegeplatz zu tauschen, damit sie in einem Abteil zusammen sein können. Dafür bekomme ich später einen Pappbecher Rotwein angeboten, und so stehe ich am Fenster des Liegewagens, fahre irgendwo in der Nacht durch Frankreich, trinke Rotwein; kann es irgendwie nicht glauben, daß ich wirklich auf dem Weg nach Santiago bin, denke an daheim - wird dort alles klar gehen, hab ich irgendwas vergessen zu regeln,...
    Bilder, Szenen einer Nacht...
     
     
    St.-Jean-Pied-de-Port, 12.40 Uhr
    Die Fahrt hierher war schön, St.-Jean ist ein hübsches, kleines Städtchen - und die Begegnung mit Mme. Delbrel ist schon eine ganz eigene. Aber der Reihe nach...
    Nach meinem Frühstück in der Bahnhofsgaststätte bin ich Richtung Stadtmitte gelaufen - und dann fiel mir ein, ich könnte ja schauen, ob die Kathedrale schon geöffnet hat und dort eventuell die Laudes beten. Und, oh Wunder, die Tür war schon offen. Ich nahm den Rucksack ab, setzte mich in eine Bank, schaute mich um, die Morgensonne fiel durch die Fenster hinein, ich fühlte mich plötzlich zuhause und geborgen. In der Laudes gab es einen schönen Text: Deine Weisheit sei bei mir und teile mit mir alle Mühe. (Weish 9,10b)
    Bayonne selbst erweist sich zu dieser frühen Morgenstunde als nicht so hübsch, als daß es mich dort gehalten hätte - aber wer weiß, vielleicht ist die Spannung in mir auch nur zu hoch, endlich auf den Weg zu kommen. Lange genug habe ich ja daraufhin gelebt.
    So sitze ich um 10.00 Uhr im Zug, der sich beschaulich ein schönes Tal hinaufarbeitet, das erste Lust zum Wandern macht. In St.-Jean bin ich erstmal ein wenig ratlos und unschlüssig -heute ist Samstag, wenn ich morgen wirklich in die Pyrenäen will, muß ich irgendwas zum Essen und zum Trinken einkaufen - wie lange haben denn die Geschäfte hier offen? -, und ich brauche den Pilgerausweis und ein Bett für die Nacht.
    Die Lebensmittel scheinen mir im Moment das Vorrangigste zu sein - und so halte ich beim ersten Geschäft und kaufe ein: Wasser, Äpfel, Brot, Wurst, Schokolade. Dann gönne ich mir einen Kaffee - und komme mit zwei deutschen Fahrradpilgern ins Gespräch, die ich schon in Bayonne am Bahnhof gesehen habe. Mit dem Fahrrad wollen sie den camino in vierzehn Tagen machen - und heute nachmittag noch über die Pyrenäen. Ich ahne dunkel - es könnte Unterschiede machen, ob man mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs ist.
    Nach dem Kaffee suche ich Mme. Delbrel, die hier das Pilgerbüro leitet - und eigentlich wäre es mir auch ganz lieb, wenn ich jetzt wüßte, wo ich heute nacht schlafen werde. Vor dem Haus in der Straße treffe ich die beiden Deutschen wieder - ich klingle, und versuche, mich in meinem schlechten Französisch irgendwie verständlich zu machen. Es scheint nicht besonders erfolgreich zu sein - Mme. Delbrel beklagt sich lang bei den beiden anderen Deutschen, daß doch immer Leute kämen, die einen Pilgerausweis wollten - und keinen Begleitbrief dabei hätten. Als ich kapiere, worum es geht, protestiere ich lautstark - schließlich habe ich
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