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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter
Autoren: Oliver Becker
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verwahrlost, sondern auch seltsam
geisterhaft.
    Sie nahmen einen Umweg,
der sie am späten Abend zu einer winzigen Siedlung mit einer kleinen Kirche in
der Ortsmitte führte. Blum kannte den Pfarrer sehr gut. Hier war es, wo er sich
wieder in einen menschenwürdigeren äußerlichen Zustand bringen wollte, wie er
es nannte, um dann die befestigte Straße nach Freiburg zu nehmen. Noch immer
war er fest entschlossen, alles für Bernina zu tun, was in seiner Macht stand.
Als er sich von ihr und den beiden Männern verabschiedete, deutete er eine
bescheidene Verbeugung an und wünschte viel Glück. Es war ein eigenartiges
Bild, ihn so zu sehen, diesen Mann, der einmal mit Folterinstrumenten in der
Hand vor ihr gestanden hatte.
    Bernina quartierte sich
mit Norby und Baldus in einem Gasthof ein. Mit der Dunkelheit kam auch dieses
Gefühl des Unwohlseins zurück zu ihr, aber sie versuchte, es zu verdrängen.
Wiederum stellte sie ihre beiden Begleiter vor die Wahl: »Ihr müsst nicht an
meiner Seite bleiben. Der Petersthal-Hof ist allein meine Angelegenheit.«
    Und erneut war es
Baldus, der als erster und ohne zu zögern antwortete: »Es wird die schönste
Aufgabe meines Lebens sein, dabei zu helfen, den Hof wieder in seinen
ursprünglichen Zustand zu bringen.« Er lachte bei diesen Worten.
    Norby betrachtete
Bernina nur mit rätselhaftem Blick, ohne sich irgendwie zu äußern, und sie
drängte ihn nicht zu einer Antwort. Später allerdings, als Bernina ins Freie
trat, um ein wenig frische Luft zu schnappen, ahnte sie, dass er ihr folgen
würde. Das Aroma des Schwarzwaldes füllte ihre Lungen. Die Sichel des Mondes
stand über dem Dorf. Es war kalt, doch Bernina störte sich nicht daran,
erinnerte sich einfach an frühere unbeschwerte Wintertage auf dem
Petersthal-Hof.
    Sie hatte gerade die
Ecke des Fachwerkgebäudes erreicht, als hinter ihr die Stiefelschritte im
klebrigen Schnee erklangen. Sofort hielt sie inne, und Nils Norby stellte sich
neben sie.
    »Morgen Abend müssten
wir beim Hof sein«, meinte er mit verhaltener Stimme. »Jedenfalls wenn wir
trotz des leichten Umweges weiterhin so gut vorankommen wie heute.«
    »Das denke ich auch.«
Bernina blickte in den Abendhimmel, der sich immer mehr mit Sternen füllte,
doch mit ganzer Aufmerksamkeit erwartete sie Norbys nächste Worte.
    »Irgendwie habe ich das
Gefühl, dass sich unsere Wege morgen trennen. Schon wieder einmal. Und zwar für
immer.«
    Sie stockte, dann sagte
sie leise: »Ja, so wird es wohl kommen.«
    Schweigen breitete sich
aus. Stimmen aus dem Schankraum drangen zu ihnen nach draußen, im Stall
wieherte eines der Pferde.
    »Erzähl mir bitte
endlich deine Geschichte«, sagte Bernina unvermittelt und überraschte sich
damit selbst ein bisschen. »Erzähl mir, was dir so auf der Seele liegt.«
    Norbys Mundwinkel
zuckten kurz. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Und ob du das weißt«,
erwiderte sie rasch, doch mit sanfter Stimme. »Was geschah damals, als du mit
König Gustav Adolf geritten bist? Was passierte, als er in der Schlacht fiel
und du danach auf einmal nicht mehr zur Armee gehört hast?«
    Er
zeigte ein zaghaftes Lächeln und sah dann ins Nichts. »Ich habe niemals
jemandem davon berichtet. Nun ja, ich hatte seitdem ohnehin niemanden mehr zum
Reden. Wie du weißt, war ich ein Offizier, der Seite an Seite mit seinem König
war. Das war mein Leben. Das war alles, was ich wollte. Es kam zur großen
Schlacht von Lützen. Wir ritten ins Gefecht, und zu meinen vordringlichsten
Aufgaben zählte es, den König nicht aus den Augen zu lassen, ihn zu beschützen
und – wenn nötig – für ihn zu sterben.«
    »Doch
es war er, den der Tod holte.«
    »Weil
ich betrunken war. Zum ersten und letzten Mal in meinem Leben. Weil ich zu
langsam war. Weil ich einfach nicht der war, der ich immer gewesen war. Die Schlacht
war eine der schlimmsten, an der ich je teilnahm. Ein riesengroßes
Durcheinander, ein einziges Inferno. Das Pferd des Königs strauchelte, und er
stürzte ab. Ich ritt zu ihm, ließ mich aus dem Sattel fallen, wir kämpften
nebeneinander mit dem Degen gegen eine Übermacht. Ich sah, dass ein Feind mit
einer Muskete auf Gustav Adolf anlegte.« Norbys Blick wurde plötzlich ganz
starr. »Ich zog meine Pistole, aber ich war voller Schnaps, sie glitt mir aus
dem Handschuh. Ich bückte mich nach der Waffe, alles verschwamm vor meinen
Augen, ich hatte mich derart volllaufen lassen, dass ich nicht mehr wusste, was
ich tat. Als ich endlich die Pistole
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