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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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–«
    Sie verließen das Krebsforschungsinstitut ohne noch einmal Prof. Panterosi gesehen zu haben. Der Portier berichtete ihnen, der Chef habe vor einer halben Stunde ziemlich ärgerlich das Haus verlassen und sei weggefahren. Mit einem der weißen Motorboote, die die Krankenwagen ersetzten.
    »Machen Sie sich nichts daraus, bester Dottore!« sagte Cravelli, als sie wieder auf dem Deck der ›Königin der Meere‹ saßen. »Auch Panterosi wird überzeugt werden. Zunächst werden wir in den kommenden Tagen uns um unsere Interessen kümmern! Wir glauben an Ihre Entdeckung, dessen können Sie gewiß sein!«
    Dr. Berwaldt nickte dankbar, aber er sagte nichts. Er starrte angeekelt auf das schmutzige Wasser, das aus den dunklen und lichtlosen Seitenkanälen in den Canale Grande floß. Obstschalen, Papier, Schmutz, Kot und tote, aufgequollene Ratten klatschten gegen die alten Kaimauern, als die Wellen ihres Motorbootes das Wasser aufwühlten.
    Venedig kam ihm plötzlich nicht mehr so leuchtend vor. Die Märchenfassade blätterte ab. Auch im Paradies ist der Alltag der gleiche wie überall auf der Welt. Mißtrauen, Kampf, Anfeindungen … nur die Umgebung war eine andere.
    »Einen Hunger habe ich!« sagte Cravelli und rieb sich den Leib. »Vor allem nach diesem muffigen Loch von Seziersaal! Madonna mia, wer sein ganzes Leben dort verbringen muß …«
    Dr. Berwaldt entschuldigte sich, als sie wieder im Hotel ›Excelsior‹ waren. Er ging auf sein Zimmer, bestellte eine Karaffe Orangensaft und legte sich aufs Bett.
    Berwaldt atmete tief auf und verschränkte die Arme im Nacken. Er starrte gegen die stuckverzierte Decke, über die Sonnenkringel wie goldene Spiralen krochen.
    Cravelli, Patrickson und ihr Konzern … sie können mir alle Türen aufstoßen. Hinter ihnen steht ein unermeßliches, internationales Kapital. Mit ihrer Hilfe kann ich alle Zweifel zerschlagen, dachte er. Ich werde auf ihre Vorschläge eingehen. So schlief er ein, von der Hitze ermüdet und von den neuen Eindrücken besiegt.
    In Venedig flammten die Lichter auf, glänzten die Hotelpaläste, schaukelten die Laternen der Gondeln an den geschnitzten Bügen und den mit seidenen Schirmen überspannten Sitzen. Markusplatz, Dom, Dogenpalast, Piazzetta und Markussäule lagen im gleißenden Scheinwerferlicht. Weit in der Ferne, unter einem milchigen Mond, schimmerten die Kuppeln von Santa Maria della Salute.
    Man hielt den Atem an vor soviel Schönheit … und man vergaß, daß hinter dem Zauber die engen, schmutzigen, dunklen, stinkenden Wasserwege lagen, die schweigenden Kanäle, die niemand sah und sehen wollte.
    Julio, das winzige, sterbende Äffchen, lebte am nächsten Tage noch. Und am übernächsten Tage atmete es auch noch und fraß tapfer das rohe Gemüse und trank, von Durst geplagt, zwei große Flaschen voll milchsaurem Gurkensaft.
    Was niemand wußte und der Assistent auch für sich behielt: Prof. Panterosi selbst machte die anderen beiden Injektionen bei Julio. Dann verließ er wortlos wieder die Sezierstation.
    In diesen Tagen hatte man Dr. Berwaldt in das Haus Sergio Cravellis eingeladen. Es lag am Canale Santa Anna, einem jener alten, düsteren Seitenkanäle, die kein Fremder kennt und in denen die Jahrhunderte an den Fassaden kleben geblieben sind.
    Auch Cravellis Haus – Palazzo Barbarino – war ein verwittertes, hohes Steingebilde mit einer Renaissance-Fassade, mit Löwenköpfen verzierten Balkonen und einer Anlegetreppe, deren Geländer aus eisernen Schlangen bestand. Träge und schmutzig schwappte das Wasser über die Stufen, die einmal leuchtend weißer Marmor gewesen waren.
    Es war ein weiträumiges, tiefes Haus mit Gängen, überbrückten Innenhöfen, unter dem Wasser liegenden Kellern und plötzlich aufsteigenden, teppichbelegten Freitreppen. Ein Unbekannter mußte sich in diesem Palazzo Barbarino verlaufen … es war ein Irrgarten von Zimmern und Gängen, vor dem selbst der oft zu Gast weilende Patrickson kapitulierte.
    Hier hauste Sergio Cravelli, und wer ihn in diesem Palast sah, glaubte wirklich, in die Renaissance zurückversetzt zu sein.
    In der Bibliothek des Palazzo Barbarino, umgeben von bis zur Decke reichenden, geschnitzten Regalen, in denen tausende Bücher verstaubten, saß James Patrickson vor einem alten, riesigen Globus und trank Whisky. Cravelli telefonierte.
    »Er ist weggefahren!« sagte er, als er den Hörer wieder auflegte. »Er hat sich eine Gondel gemietet und wollte hinüber zur Madonna.« Patrickson trank in
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