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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kalt, glatt, als läge sie, eben aus der Formalinlösung gekommen, auf dem Marmortisch der Anatomie.
    »Ich freue mich«, sagte er. Es sollte ehrlich klingen, aber er glaubte nicht, daß es ihm jemand abnahm.
    Sie stiegen in den riesigen Wagen und fuhren in schneller Fahrt nach Chioggia. Cravelli sprach die ganze Zeit auf Berwaldt ein, während James Patrickson lenkte. Er erzählte von dem Konzern, den Berwaldt dem Namen nach kannte und dessen Sitz in Dallas, Texas, war. Er sang eine Hymne auf das vor ihnen auftauchende Fischer-Städtchen Chioggia, auf Venedig, auf seine Frauen, auf die Nächte und auf die Ewigkeit Casanovas, dessen Geist noch immer zwischen den Mauern der Palazzi geisterte.
    In Chioggia stiegen sie in eine weiße Motorjacht um, die ebenfalls James Patrickson steuerte. Am Bug leuchtete in goldenen Lettern der Name des Bootes. ›Königin der Meere‹. Berwaldt lächelte still vor sich hin. Sie verstehen ihr Geschäft, dachte er, während er sich auf dem Vorderschiff in einem blauen Sessel niederließ und Cravelli einen Aperitif mixte.
    Leise summend glitt die weiße Jacht ›Königin der Meere‹ aus dem Hafen von Chioggia hinüber nach Venedig. Das Wasser des Canale di San Marco schäumte silbern in der Sonne vor dem Kiel. Neben ihnen glitt, wie mit Gold Übergossen, die Isola di San Giorgio Maggiore vorbei, vor ihnen hob sich Venedig gegen den wolkenlosen blauen Himmel ab, ein steinernes Märchen, das ihnen entgegenkam. Am Punta della Saluta bogen sie dann in den Canale Grande ein …
    Cravelli seufzte tief, als er das Glas mit dem Aperitif hob.
    »Ist es nicht ein Zauber, Signore Dottore?« sagte er schwärmerisch. »Diese Stadt! Diese ins Meer gebaute Liebeserklärung: Nur wer hier lebt, weiß wirklich, was Leben ist –«
    »Es ist imponierend!«
    »Imponierend! O ihr steifen Nordländer! Auf die Knie sollte man fallen vor soviel Schönheit! Wenn Gott nur Venedig geschaffen hätte, reichte es aus, ihn ewig anzubeten!«
    Das Gewühl der Gondeln schluckte sie. In der Ferne schimmerten die runden Kuppeln von Santa Maria della Salute, unwirklich, im Dunst des Sonnentages schwebend wie eine Fata Morgana.
    Beim Anblick des Markusplatzes, der Piazzetta und den Säulengängen des Dogenpalastes verringerte Patrickson die Geschwindigkeit und stellte schließlich den Motor ganz ab. Um die Kuppeln des Markusdomes flatterten Schwärme weißer Tauben, wie flüssiges Gold lag der Sonnenschein über Marmor und Mosaiken.
    »Wir haben Ihnen eine Zimmerflucht im ›Excelsior‹ reservieren lassen, Sir«, sagte Patrickson und klopfte seine Pfeife an der Bordwand aus. »Dort liegt es.«
    Er zeigte mit dem Pfeifenstiel auf einen Palast, vor dem an blauweißen Haltepfählen Gondeln mit vergoldeten Galionsfiguren warteten. Cravelli hob wie beschwörend beide Hände.
    »Darf ich Sie bitten, heute abend Gast und Star einer kleinen Gesellschaft zu sein? Wir haben einen Saal im ›Excelsior‹ gemietet. Dort werden wir Sie den Herren vorstellen. Auch Prof. Dr. Panterosi wird zugegen sein.«
    »Panterosi? Der Chirurg?« fragte Dr. Berwaldt.
    Er riß sich von dem Anblick des berühmten Venedigpanoramas los. Diese neue Mitteilung veränderte auf einen Schlag die vorausgeahnte Situation. Wenn Prof. Panterosi anwesend war, bedeutete dies ein akutes Interesse der Schulmedizin an den Forschungen eines Außenseiters. Eine Anerkennung Prof. Panterosis öffnete das weite Feld der klinischen Erprobungen, war ein Sieg des Präparates, war wie eine Lebenserfüllung.
    Cravelli bemerkte die starke innere Erregung Berwaldts. Er goß noch ein Glas Aperitif ein.
    »Da staunen Sie, nicht wahr?« rief er.
    »Das hätte ich nicht erwartet«, sagte Dr. Berwaldt ehrlich.
    »Sie werden staunen, was Sie alles noch erwartet!« sagte James Patrickson trocken. Er stellte den Motor wieder an, und die weiße Jacht ›Königin der Meere‹ glitt dem Palast des Hotels ›Excelsior‹ entgegen.
    In diesem Augenblick war Dr. Berwaldt davon überzeugt, daß er einer der glücklichsten in Venedig war.
    Die Bekanntschaft mit dem großen Chirurgen Panterosi war kurz. Wie alle berühmten Männer seines Fachs hielt auch Panterosi wenig von vielen Worten. Er gab Dr. Berwaldt die Hand, sah ihn mit zusammengezogenen Brauen an und sagte:
    »Sie also sind der Wundermann?! Sie wollen den Stein der Weisen gefunden haben?«
    »Nein«, hatte Berwaldt geantwortet. »Ich wage es nur, zu hoffen, daß man dem Carcinom in absehbarer Zeit nicht mehr so hilflos
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