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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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was zu ihr sagt, hört die Musik oben nicht auf. Sie hört immer Musik beim Malen, und fast immer die gleiche. Benji sagt, das wäre ein Chor von russischen Mönchen. Als ich das erste Mal sah, wie er einfach aus ihrer Handtasche Geld nahm, hundert Schekel, und sogar das Wechselgeld draußen ließ, war ich so geschockt, dass ich ihn anschrie, dass man doch Geld so nicht rumliegen lässt. »Das ist doch nur Kleingeld«, sagte er und zeigte mir ein Fach im Schrank, und dort lag, unter ein paar Büchern, ein ganzes Bündel Geldscheine. Ich bin fast übergeschnappt. So hebt man Geld auf? »Was regst du dich auf?«, sagte Benji. Und dann erklärte er mir, dass sich Einbrecher vor dem Hund fürchten würden. Der ist wirklich gefährlich.
    Als ich bei ihm zu Hause einen Klassenabend organisieren wollte, habe ich es nicht geschafft. Niemand kam. Entweder wollten sie nicht oder sie durften nicht, ist ja auch egal. Und niemand hat Benji zu sich nach Hause eingeladen, kein Einziger. Wenn ich mir Benji vorstelle, diesen kleinen, dicken Jungen mit den blauen Augen in dem großen Haus, verstehe ich, dass es ihm nicht besonders gut geht, auch wenn er alles hat. Auch wenn ich alles bekäme, was er hat, würde ich nicht mit ihm tauschen wollen. Es nützt alles nichts. Damit will ich nicht sagen, dass Benji ein trauriger Junge ist, ich habe ihn nie weinen sehen. Im Gegenteil, die meiste Zeit lächelt er und seine blauen Augen strahlen so, dass er manchmal fast spitzbübisch aussieht, als würde er sich über alles lustig machen. Er ist nicht traurig, er ist nur ein seltsamer Junge, der mit niemandem spricht und mit der Freiheit, die er hat, nichts Interessantes anzufangen weiß. Außer mit mir zusammen zu sein und Basketball zu lernen, interessiert er sich nur dafür, mit Leuten im Internet zu chatten. Seit neuestem hat er einen Brieffreund im Internet. Der ist ein erwachsener Mann, der in Florida wohnt wie Benjis Großmutter. Benji schreibt ihm, als wäre er selbst ein Erwachsener. Der Mann gibt ihm alle möglichen Ratschläge, wie er sein Geld anlegen soll und so Dinge, von denen ich nichts verstehe. Die Erziehungsberaterin glaubt, Benji hätte eine Beziehung zu mir aufgebaut, so hat sie jedenfalls beim Treffen aller Tutoren gesagt, und das wäre ein außerordentlicher Erfolg. Sie hat wörtlich gesagt: »Außerordentlich.«
    Tamar, so heißt die Erziehungsberaterin, hat mir Benji auch wegen Basketball zugeteilt. Sie denkt, Sport könnte ihm nützen. Einerseits würde er abnehmen, andererseits konzentrierter und offener werden. Ein weiterer Grund war Mathematik, das einzige Fach, das mich und Benji interessiert, auch das einzige, in dem er gute Noten bekommt.
    Ich habe übrigens nichts Besonderes mit Benji gemacht. Ich habe mir keine große Mühe gegeben, ich habe mir nur manchmal überlegt, wie ich es schaffe, dass er mit mir redet. Es ist einfach nicht angenehm, mit jemandem zusammen zu sein, der kein Wort von sich gibt. Bei unserem ersten Treffen wollte Benji über gar nichts reden. Ich habe vor der Klasse auf ihn gewartet, dann ging ich mit ihm in einen freien Klassenraum, so haben wir uns am Anfang immer getroffen. Er tat, als wäre ich gar nicht da. Ich habe ein paar mathematische Probleme vorgebracht, so Rätsel, aber das ganze Ergebnis war, dass er nicht einen Finger gerührt hat. Er spuckte nur auf die Wand neben der Tafel, bis er einen Nagel traf. Jedes Mal, wenn er traf, klatschte er sich selber Beifall. Er wartete noch nicht mal darauf, dass ich klatschte, ich war Luft für ihn. Ich wurde langsam nervös und beinahe wäre ich weggegangen. Was erwarten sie von mir, was ich tun soll, dachte ich. Ihn zu einem anderen Jungen machen? Bin ich etwa ein Zauberer? Aber dann beschloss ich, schlau zu sein. Das habe ich schon lange kapiert, dass es nicht schadet, wenn man schlau ist.
    Früher hatte ich mal einen Hund im Viertel, den ich nicht mit ins Haus nehmen durfte, meine Mutter wollte es absolut nicht. Und jedes Mal, wenn ich ihn verließ und er allein zurückblieb, machte er ein trauriges Gesicht und hörte auf, das Essen zu fressen, das ich ihm mitgebracht hatte, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren. Aber wenn ich wiederkam, war alles weg, bis auf den letzten Krümel. Schließlich wollte ich wissen, ob er es selbst fraß oder andere Hunde. Deshalb tat ich, als würde ich nach Hause gehen, und versteckte mich hinter einem Auto. Einen Moment später sah ich, wie der Hund langsam aufstand, sich umschaute wie ein Dieb,
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