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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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der Noten ungeheuer wichtig sind. Bei seiner Bar Mizwa tauchte sie zweimal auf. Einmal kam sie in den Keller, um zu sehen, ob alles in Ordnung war, und das zweite Mal, um die Musik leiser zu stellen wegen der Nachbarn. Sie war groß und blond, mit einer ordentlichen Frisur, und sie war schön angezogen, obwohl sie doch nur aus ihrer Wohnung im ersten Stock heruntergekommen war. Nimrods Vater ist irgendein bedeutender Professor an der Universität. Als wir in der siebten Klasse waren, kam er einmal in die Schule und erklärte uns das Wahlsystem in Israel. Rachel, unsere Direktorin, begleitete ihn überall hin und war so untertänig, als wäre er der Regierungspräsident höchstpersönlich.
    Nimrod und Joli sind seit Anfang des Jahres Freunde und sie wird jedes Mal rot, wenn er in unsere Klasse kommt, um sie abzuholen. Das ist aber kein Grund, dass ich gegen ihn bin. Warum sollte er nicht Jolis Freund sein, sie passen wirklich gut zusammen, schon wegen der Pfadfinder und all dem. Wenn er weiter mit uns Basketball gespielt hätte, wäre er vielleicht das As der Auswahlmannschaft geworden, aber er hat aufgehört, wegen des schulischen Drucks. Er sagte zu Joli, wer ein gutes Abitur anstrebe, müsse ab jetzt investieren, ab der achten Klasse, und dürfe nicht auf den letzten Moment warten. Statt auf die Pfadfinder oder auf die Jugendgruppe der Friedensbewegung verzichtete er auf Basketball.

    Ich dachte an Benji und an seine blauen Augen, die immer aufleuchten, wenn ich Zeit habe, ein bisschen Basketball mit ihm zu spielen, und ich dachte wieder daran, wie er vor mir davongelaufen war. Ich dachte auch an Jo’el, den Trainer, der aufgehört hatte, uns zu trainieren, weil ihm ein Band am Knie gerissen ist. Daran war auch was Gutes, es bedeutete nämlich, dass ich mit Benji ein Privattraining machen könnte. Ich musste ihn nur finden und herausbekommen, was mit ihm los war. Und vielleicht würde ich ihn endlich mit ins Museum nehmen, um ihm die Nimrod-Statue zu zeigen.
    Das ist eine kleine Figur, die wir im Malzirkel zeichnen mussten, und die Lehrerin erklärte uns, warum sie so berühmt und wichtig ist. Und sie sprach über die Proportionen der Statue. Im ersten Moment verstand ich nicht, warum sie so ein Theater um diese Figur machte. Sie ist so klein und sieht nach nichts aus. Sie ist aus rauem, rotem Stein und stammt aus Jordanien, aus Petra. Erst als ich mir Nimrods fein gemeißelten Körper genau ansah und auch den Falken, der ihm auf der Schulter sitzt, erst da verstand ich, wie schön er ist. So habe ich gelernt, dass man die Dinge ein paar Mal aus der Nähe betrachten muss. Jedes Mal, wenn ich diesen Nimrod anschaute, entdeckte ich etwas Neues. Zum Beispiel den Vogel, der auf seinem Oberschenkel eingeritzt ist. Und als ich seine Schultern, seine Arme und seine Brust zeichnete, wurde mir klar, wie zart sein Körper ist im Vergleich zu dem Raubvogel. In der linken Hand hält er, hinter dem Rücken versteckt, einen Bogen, und mir fiel auf, dass dieser Bogen wie eine Fortsetzung seines Körpers ist, wie ein Teil von ihm selbst. Ich empfand noch ganz andere Dinge, als ich ihn betrachtete, Dinge, die ich nicht erklären kann. Ich wäre froh, wenn ich so aussehen würde, dachte ich, und dass ich Joli gern hergebracht hätte, um ihn ihr zu zeigen. Aber dazu fehlte mir der Mut und ihr vermutlich auch, denn dieser Nimrod ist vollkommen nackt und man sieht alles, und mit dem wirklichen Nimrod hält sie, glaube ich, höchstens mal Händchen. Aber das hab ich noch nie gesehen. Vielleicht tun sie es, wenn sie allein sind.
    Schon lange habe ich Benji versprochen, ihn mal mit ins Museum zu nehmen. Und nun versuchte ich mich daran zu erinnern, was ich ihm sonst noch alles versprochen und nicht gehalten hatte. Vielleicht war er deshalb vor mir weggelaufen. Ich hatte versprochen, ihn zu dem Wettkampf mitzunehmen, als wir gegen die Auswahlmannschaft von Orat-Michlala spielten, doch am Schluss habe ich es nicht getan, weil ich zusammen mit Nimrod hinging. Nimrod ist zwar nicht mehr in unserer Mannschaft, aber er hatte sich als Ersatzspieler zur Verfügung gestellt, nur für dieses Spiel. Deshalb wollte ich Benji nicht mitnehmen.
    Nimrod ist der King der Altersstufe und außerdem unser Vertreter bei der Schülermitverwaltung, er schreibt für die Schülerzeitung, ist aktives Mitglied bei der Jugendgruppe der Friedensbewegung und alle Mädchen halten ihn für schön. Er hat so eine Haartolle, die er sich mit viel Gel einschmiert, und er
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