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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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als wolle er sehen, ob ich noch in der Gegend war. Und als er mich nicht mehr sah, stürzte er sich auf das Futter und verschlang es. Da war mir klar, dass der Hund mir nur seine Gleichgültigkeit demonstrieren wollte, damit ich Mitleid mit ihm bekam. Aber er war nicht wirklich gleichgültig, er wollte nur Aufmerksamkeit.
    Beim nächsten Treffen mit Benji schlug ich das Mathematikbuch bei einer leichten Aufgabe auf, einer Textaufgabe, die jeder lösen kann. Ich schaute das Blatt an, als wüsste ich nicht, wie es geht, und dazu seufzte ich laut. »Was soll ich nur machen«, sagte ich. »Ich habe keine Ahnung, wie die Aufgabe zu lösen ist.« Schließlich stand ich auf und ging zum Fenster, als wäre ich schon ganz verzweifelt. Da erst hörte Benji auf zu spucken und schaute auf das Blatt. Dann nahm er einen Bleistift und löste die Aufgabe ohne Schwierigkeiten. »Alle Achtung«, sagte ich. »Du hast mir wirklich geholfen.« Aber Benji tat schon wieder, als wäre er taub. Er machte nur Blasen aus Spucke und ließ sie platzen.
    Das war im letzten Jahr, als Benji noch in die zweite Klasse ging. Wir trafen uns zweimal die Woche, immer in der Schule. Erst machte er Papierkügelchen, dann half er mir bei den Hausaufgaben. Aber sonst war nichts zwischen uns. Ich wusste nichts von ihm, nichts von seiner Familie, nicht, was er zu Hause machte, nichts. Schließlich fragte ich Joli um Rat. Niemand anderem hab ich davon erzählt, nur Joli, in der Pause, weil sie nämlich auch Tutorin ist.
    »Man muss ein Thema finden«, sagte Joli und erklärte mir, dass es gar nicht so leicht sei, Kontakt mit Kindern zu bekommen, die sich zurückgestoßen fühlen. So redet Joli, wie eine Erwachsene, aber nicht wie eine normale Erwachsene und auch nicht nur wie ein besonders kluges Mädchen. Ich halte Joli für den klügsten Menschen, den ich kenne. Joli sagte also, man müsse sich anstrengen und manchmal einfach was Neues ausprobieren, auch wenn man es vielleicht für aussichtslos hält. »Man weiß nie, wie sich die Dinge entwickeln.«
    So kam ich durch Joli auf die Basketball-Idee. Eigentlich glaubte ich nicht, dass es funktionieren würde, aber ich hatte schließlich nichts zu verlieren. Ich nahm einen Ball, ging mit Benji zum Sportplatz und brachte ihm erst mal bei, wie man einen Korb trifft. Wie man den Ball hält, in welcher Höhe, wie man die Hände bewegt. Langsam, ganz langsam fing er an, mit mir in seinem komischen Hebräisch zu reden. Er versprach mir sogar, mir bei Englisch zu helfen, wenn ich es wolle. Ich war einverstanden, denn ich wollte ihm das Gefühl geben, dass er mir auch half.

    Nach einiger Zeit, kurz vor Pessach im letzten Jahr, fand in unserer Schule die Woche der Mörderspiele statt. Jedes Mal, wenn meine Mutter davon hört, wird sie weiß im Gesicht und sagt, es wär langsam Zeit, mit diesem Blödsinn aufzuhören. »Was soll das sein«, sagt sie dann, »eine Woche Mörderspiele in der Schule? Hat man so was schon gehört! Und dann wundern sie sich, wenn es Gewalt unter Kindern gibt.« Und sie erinnert mich daran, wie Uri in der Pause ein Loch in den Kopf bekam und wie seine Mutter erschrak. »Das fängt mit solchen Spielen an, genau damit! Und dann wundert man sich, wenn in Schulhäuser eingebrochen wird.«
    Ich finde die Woche der Mörderspiele lustig. Das heißt, früher habe ich das Spiel wirklich geliebt. Jeder bekommt einen Zettel mit dem Namen eines Kindes, das er töten soll. Das heißt natürlich nicht wirklich töten: Es reicht, einen Moment zu finden, in dem man allein mit seinem Opfer ist, dessen Namen man natürlich niemandem verraten darf. Und dann sagt man: »Du bist tot.« Das ist alles. Der Getötete spielt nicht mehr mit.
    Auch Benji bekam einen Zettel mit einem Namen und ich erklärte ihm, dass er das entsprechende Kind finden müsse, wenn es ganz allein ist, und ihm dann sagen, dass es tot ist. Das hat Benji gemacht. Am Anfang glaubte ich nicht, dass er es schaffen würde, schließlich ist er so schwerfällig und bekommt nichts auf die Reihe, aber er hat es gleich am ersten Tag geschafft. Nur war der entsprechende Junge so gekränkt, weil ein Typ wie Benji ihn geschafft hatte, dass er alles ableugnete. Ohne rot zu werden behauptete er, es würde nicht stimmen, Benji hätte ihn gar nicht erwischt. Was, einer wie der da sollte ihn geschafft haben? Lachhaft!
    Nachdem ich es erfahren hatte, ging ich in seine Klasse, die 3 c, und nahm den Jungen ins Kreuzverhör, bis er zugab, dass Benji ihn schon gleich
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