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Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition)
Autoren: Petra Hammesfahr
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Leben gespürt. Ihre Schwiegermutter meinte schon, das Ungeborene habe die Infektion nicht überlebt.
    Was das anging, konnte der Arzt sie beruhigen. Es gab noch einen Herzschlag, allzu kräftig war der jedoch nicht. Deshalb klang sein Vorschlag vernünftig. Wer wollte das Risiko eingehen, im eigenen Bett ein Kind in die Welt zu pressen, das vielleicht zu schwach war, um aus eigener Kraft zu atmen, das sofort medizinische Versorgung brauchte, die ihm zu Hause keiner bieten konnte? Wer wollte Gefahr laufen, während der Presswehen einen Schwächeanfall zu erleiden? Völlig auf dem Damm fühlte Franziska sich wahrhaftig noch nicht.
    Und wer wollte unmittelbar nach einer Entbindung gleich wieder auf den Beinen sein, um zu kochen oder eigenhändig das Bett abzuziehen und die Laken zu waschen? Ihre Schwiegermutter hatte schon anklingen lassen, sie habe während der Grippewelle genug Laken geschrubbt und nur zwei Stunden nach Gottfrieds Geburt damals die Fenster geputzt. Das mochte sein. Aber nicht die Zeiten, nur die Menschen änderten sich.
    Nach Mariechens Geburt hatte Franziska ihre Arbeit in der Villa Schopf aufgegeben. Gottfried hatte durch Vermittlung seines Vaters eine gute Stelle bei den Stadtwerken in Grevingen gefunden. Sie verdiente nur noch mit Rübenvereinzeln und Spargelstechen etwas dazu. Seitdem rührte ihre Schwiegermutter kaum noch einen Finger und verstand sich prächtig darauf, ihre Faulheit in Lobhudeleien zu verpacken. Franziska hatte immer die flinkeren Finger und die besseren Augen.
    Ein paar Tage im Krankenhaus, sich von den barmherzigen Schwestern noch ein Weilchen umsorgen und aufpäppeln lassen, das bekäme ihr bestimmt nicht schlecht, dachte Franziska. Gottfried meinte das auch. Die Hebamme, die schon Mariechen auf die Welt geholt hatte, sah es ebenso und schlug vor: «Schick deine Schwiegermutter vorbei, wenn es tagsüber losgeht, Franziska. Dann hol ich dich ab, du kannst mit mir fahren.»
    Es ging am frühen Vormittag los, aber ihre Schwiegermutter schickte Franziska nicht. So weit wohnte die Hebamme nicht entfernt, dass sie das Stück nicht noch selbst hätte gehen können. Ehe sie das Haus verließ, nahm sie Mariechen zum letzten Mal auf den Arm, küsste zum allerletzten Mal die weiche, rosige Wange und sprach ein paar tröstende Worte, weil das Kind, so gar nicht seinem Wesen entsprechend, zu weinen begann.
    Als hätte Mariechen geahnt, was ihr bevorstand, wollte sie mit Franziska gehen, klammerte sich an deren Hals und begriff nicht, warum ihre Ärmchen gelöst wurden, warum sie bei der Oma bleiben musste, während Mama irgendwo ein Brüderchen oder Schwesterchen abholte.
    Auf den vier Kilometern Landstraße nach Grevingen, damals noch eine Allee, wurde auch Franziska ganz mulmig. Das hatte jedoch nichts mit einer bösen Vorahnung zu tun. Obwohl ihr der tränenreiche Abschied schwer auf den Magen drückte und Mariechens Schluchzer ihr die Kehle eng machten, lag es hauptsächlich am Fahrstil der Hebamme. Die fuhr einen nagelneuen Borgward Isabella. Ein schickes Auto. Aber Franziska war Autofahren nicht gewöhnt, zügiges auf einer von Bäumen gesäumten Straße schon gar nicht. Ihr war sehr übel, als sie beim Krankenhaus ankamen. Wehen hatte sie auch keine mehr.
    Dann lag sie im Kreißsaal, ging zeitweise hin und her, um die Wehentätigkeit wieder anzuregen. Die Hebamme strickte derweil einen Pullover und erzählte aus ihrem Berufsalltag: «Letzte Woche hatte ich eine hier, die wusste offenbar noch nicht, dass Waschen der Gesundheit überhaupt nicht schadet. Die musste ich erst in die Badewanne stecken, ehe ich einen Arzt dazurufen konnte. Unzumutbar, sag ich dir. – Soll ich dir ein Bad einlassen?»
    «Ich hab mich aber gewaschen», glaubte Franziska sich rechtfertigen zu müssen.
    «Sicher», sagte die Hebamme. «So war das auch nicht gemeint. Hier gibt es nur immer heißes Wasser, das könnte die Sache vorantreiben. Sonst läufst du morgen noch herum.»
    Und während Franziska in die Wanne stieg, sich vorsichtig im heißen Wasser ausstreckte – ein Luxus, den es zu Hause nicht gab –, ging ihre Schwiegermutter in den Garten. Später hieß es, sie hätte nur schnell einen Kopfsalat fürs Abendessen geholt. Und Franziska hätte geschworen, dass sie ein längeres Schwätzchen mit der Nachbarin gehalten hatte. Mit der zweiten Niederkunft gab es doch ein interessantes Gesprächsthema.
    Mariechen nahm sie selbstverständlich mit, achtete aber kaum darauf, ob das Kind sich etwas in
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