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Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition)
Autoren: Petra Hammesfahr
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Lächeln erwiderte, wandte das Kind sich wieder dem Grab zu und begann mit seinem Atem zu spielen. Es ließ ihn kontrolliert in wohldosierten Wölkchen davonschweben, versuchte offenbar, bestimmte Formen wie Rauchringe zu schaffen. Als ihm das nicht gelang, ließen die aneinandergelegten Händchen die vor der Brust baumelnden Bommel der Mützenbänder hin und her schwingen.
    Und so weit war es mit Helenes Versunkenheit dann doch nicht, dass ihr das entgangen wäre. «Lass das, Alexa», hörte Franziska sie tadeln.
    «Wann darf ich denn das Licht anmachen, Mami?», erkundigte sich daraufhin die helle Kinderstimme.
    «Sofort», erbarmte sich Helene, zog dem Kind die Fäustlinge aus und ein Grablicht nebst einer Schachtel Zündhölzer aus ihrer Manteltasche. Das Licht hielt sie fest, die Schachtel reichte sie dem Kind, das sich mit wahrem Feuereifer daranmachte, Zündhölzer anzureißen und an den Docht zu halten.
    Sein engelsgleiches Gesicht war angespannt vor Konzentration. Bei jedem neuen Zündholz, das die kleinen Finger über die Reibefläche führten, erschien kurz eine winzige Zungenspitze zwischen den prallen Lippen. Es war windstill, trotzdem erloschen die ersten vier Flammen, ehe sie den Docht erreichten.
    «Nicht so hastig, Schatz», mahnte Helene und bot dann an: «Soll ich es machen?»
    Das Kind nickte, überließ seiner Mutter die Schachtel, hockte sich neben die graue Grabeinfassung und öffnete das Türchen einer Grableuchte. Dabei rutschte der dicke Zopf vom Rücken auf die Brust. Das Kind warf ihn mit einer raschen Handbewegung wieder nach hinten. Die Bommel der langen Mützenbänder flogen mit. Und das Strickröckchen bauschte sich um die weiß bestrumpften Beine.
    Wirklich ein zauberhafter Anblick.
    Einerseits.
    Andererseits so erschreckend, dass sich Franziska das Gefühl aufdrängte, sie müsse etwas unternehmen. Sofort! Auf der Stelle! Um drohendes Unheil zu verhindern. Aber sie konnte sich nicht aufraffen.

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    1. Teil
    Schuldzuweisungen
Grevingen-Garsdorf, im Frühjahr 2004
    Es ging am Ostersonntag wie ein Lauffeuer durchs Dorf, dass der halbnackte Körper von Janice Heckler in der Greve entdeckt worden war. Ausgerechnet von ihrer eigenen Mutter. Die hatte ihre Tochter noch gar nicht vermisst, war am vergangenen Abend mit ihrem Mann bei Bekannten im Dorf gewesen und erst spät in der Nacht zurückgekommen.
    Gegen neun Uhr morgens zog Frau Heckler den Rollladen vor dem Schlafzimmerfenster hoch, damit auch ihr Mann aufwachte. Wie immer ließ sie den Blick über den Garten und das dahinter verlaufende Flüsschen wandern. Janice lag nur dreißig Meter von ihrem Elternhaus entfernt mit dem Gesicht nach unten im Wasser.
    Dass Frau Heckler sofort wusste, um wen es sich handelte, darf bezweifelt werden. Es wurde später viel darüber geredet und spekuliert, und jeder dichtete noch etwas dazu. Zum Beispiel, dass die arme Frau schreiend am Fenster zusammengebrochen sei. Oder dass die Polizei schon um die Mittagszeit einen bestimmten Verdacht hatte und den Täter kurz darauf zum ersten Mal verhörte. Letzteres entsprach definitiv nicht den Tatsachen.
    Um die Mittagszeit stand noch nicht einmal fest, dass man es mit einem Tötungsdelikt zu tun hatte. Der erste Arzt, der die Leiche begutachtete, hatte keine Erfahrungen auf dem Gebiet der Forensik. Im Auftrag der Polizei entnahm er normalerweise nur Blutproben. Er stellte lediglich fest, dass Janice seit etlichen Stunden tot war und eine Prellung am Hinterkopf hatte – höchstwahrscheinlich hervorgerufen durch einen Stein aus dem Flussbett.
    Das hätte bei einem Sturz passiert sein können, wenn Janice auf dem schmalen Uferstreifen abgerutscht und mit dem Hinterkopf aufgeschlagen wäre. Allerdings drängten sich bei dieser These die Fragen auf, warum sie mit nacktem Unterleib und ohne Schuhe auf dem schmalen Uferstreifen herumgelaufen und wie sie mit dem Gesicht ins Wasser geraten sein sollte, wenn sie mit dem Hinterkopf aufgeschlagen wäre.
    Erst dienstags entdeckte ein erfahrener Rechtsmediziner bei der Obduktion neben ein paar Schrammen an den Beinen, die sowohl von Steinen als auch von Fingernägeln stammen konnten, Quetschungen im Nacken, die zweifelsfrei von einer Hand verursacht worden waren.
    Zu dem Zeitpunkt gab es auch einen Verdächtigen, den Spross einer einflussreichen Familie, einen Sohn von Helene Junggeburt. Er war durch Zeugen in den Fokus der Ermittlungen geraten und hatte bereits ein Leben auf dem Gewissen, wofür er
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