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Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition)
Autoren: Petra Hammesfahr
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jedoch nicht zur Rechenschaft gezogen worden war, was in diesem Zusammenhang allerdings keine Rolle spielte. Es hieß allgemein, das sei ein Unfall gewesen.
    Ihm im Fall Heckler einen Mord oder zumindest Totschlag nachzuweisen wurde für die Polizei ein hartes Stück Arbeit. Weil der Körper stundenlang im Wasser gelegen hatte, wurden keine verwertbaren DNA-Spuren gefunden. Mit anderen Sachbeweisen sah es genauso düster aus. Es gab zwar belastende Zeugenaussagen, doch unmittelbare Tatzeugen schien es nicht zu geben. Und von einem Geständnis war der mutmaßliche Täter meilenweit entfernt. Er erklärte in jedem Verhör stereotyp, er sei betrunken gewesen und könne sich an nichts mehr erinnern.
    Seine Familie hatte ihm umgehend eine Rechtsanwältin beschafft, Frau Doktor Greta Brand, der ein besonderes Faible für attraktive, aber total verkorkste Typen nachgesagt wurde, was auf den Verdächtigen zweifellos beides zutraf. Darüber hinaus galt Greta Brand als Koryphäe auf dem Gebiet der Strafverteidigung, und diesem Ruf machte sie alle Ehre. Egal, was Polizei und Staatsanwalt an Zeugenaussagen aufboten, um ihre Theorie zu untermauern, Greta Brand pflückte es auseinander. Es fehlte nicht viel, dann wäre es gar nicht erst zur Anklageerhebung gekommen.
    Aber dann, sozusagen auf den letzten Drücker, korrigierte eine Person ihre zuvor gemachte Aussage zur fraglichen Nacht. Und so kam es doch noch zu einem Prozess – und zu einer Verurteilung: lächerliche neun Jahre! Weil Greta Brand die Volltrunkenheit ihres Mandanten nun als mildernden Umstand anführte und damit durchkam.
    Viele Garsdorfer empfanden das als Schande für das Rechtssystem und einen Schlag ins Gesicht der Familie Heckler. Die meisten vertraten sogar die Ansicht, man hätte Helene Junggeburt, wäre die nicht kurz nach der Festnahme ihres Sohnes verstorben, neben ihn auf die Anklagebank setzen und zur Rechenschaft ziehen müssen. Wer hatte ihn denn zu dem gemacht, was er war? Helene, diese durchgeknallte Person, die man eigentlich unmittelbar nach seiner Geburt in die Klapsmühle hätte stecken müssen.
Die Toten früherer Jahre
    So einfach wie für den Großteil der Garsdorfer Bevölkerung war es für Franziska Welter nie gewesen. Und das nicht nur, weil sie Helene von klein auf gekannt und mit den Schicksalsschlägen, die das Leben dieser Frau zugemutet hatte, ebenso vertraut war wie mit denen, die sie selbst hatte einstecken müssen.
    Franziska war Jahrgang 1932 und mit Helene zur Schule gegangen. Helene war drei Jahre älter, aber in der Dorfschule waren bis Mitte der fünfziger Jahre mehrere Jahrgänge gemeinsam in einem Raum unterrichtet worden. Da hatten sie zeitweise sogar nebeneinandergesessen, nur durch den Mittelgang getrennt.
    Nach der Schulzeit hatte Franziska dann einige Jahre für Helenes Eltern gearbeitet. Denen gehörte die Brauerei Schopf. Die stand damals am Stadtrand von Grevingen und beschäftigte auch nach Kriegsende notgedrungen noch junge Mädchen und Frauen. Die arbeitsfähigen Männer waren größtenteils gefallen oder in Gefangenschaft geraten wie Helenes älterer Bruder, an dem sie mit ganzem Herzen hing.
    Als die Überlebenden zurück in die Heimat kamen, wurde die Belegschaft der Brauerei nach und nach ausgetauscht. Die Frauen mussten sehen, dass sie anderswo Arbeit fanden, oder sich zurück an den Herd scheuchen lassen. Franziska war davon nicht betroffen, weil sie im Haushalt der Schopfs beschäftigt war. Die Villa Schopf stand etwas außerhalb; am Ende der Breitegasse am südlichen Ortsrand von Garsdorf. Ein sehr schönes Anwesen mit einem riesigen Garten, hinter dem die Greve vorbeifloss.
    Während Helene Deckchen und Kissen bestickte, Klavier spielte und lange Briefe an ihren Bruder schrieb, schrubbte Franziska Fußböden und machte die Wäsche. Die wurde zu der Zeit noch geknetet, gewalkt und gebürstet. Anschließend wurden die großen Teile zum Trocknen auf der sogenannten Bleiche ausgebreitet.
    Auf dieser Rasenfläche hinter dem Haus wendete Franziska im August 1949 mit Hilfe der Kochfrau Laken und Bettbezüge, als Heinrich Junggeburt die Nachricht überbrachte, Helenes Bruder sei schon kurz nach Kriegsende in russischer Gefangenschaft verstorben. Das wusste Heinrich so genau, weil er im selben sibirischen Lager gewesen war.
    Helenes Schreie klangen Franziska noch lange danach in den Ohren. Wäre sie selbst im Haus gewesen, als Helene völlig von Sinnen ins Freie gerannt kam, hätte die sich wohl in die Greve
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