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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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holen oder in der Schule lassen soll. Sie hat gesagt, in der Schule wären Polizisten dabei, die Schüler zu befragen. Sie wusste nicht genau, ob sie überhaupt nach Hause gehen darf, bevor sie an der Reihe war.
    Mein Kopf ist leer und mein Körper bleischwer. Ich sehe Joe an. »Ich weiß nicht, was ich Kate und Guy sagen soll – was in aller Welt soll ich ihnen bloß sagen?«
    »Sag ihnen, dass es dir leidtut. Das wirst du ihnen sagen. Kate braucht das jetzt.«
    Natürlich hat er recht. Trotzdem habe ich furchtbare Angst.
    »Was, wenn sie mich anschreit? Wenn sie mich aus dem Haus wirft?«
    »Dann musst du damit leben. Dir bleibt keine Wahl.« Er sieht mich traurig an. »Ich werde nicht zulassen, dass sie dir wehtut, wenn es das ist, was du fürchtest. Ich bleibe immer an deiner Seite.«
    Ich wende mich ab, von mir selbst angewidert. »Hör mich bloß an … ich habe Angst, ihr entgegenzutreten, wo ihre Tochter verschwunden ist. Wie furchtbar ist das denn? Ich sollte mir Gedanken darüber machen, wie ich sie unterstützen kann.«
    Joe streckt den Arm aus und berührt meine verkrampft gefalteten Hände. »Es ist nicht deine Schuld, Lise«, sagt er.
    Ich antworte nicht. Wir sind schon fast bei Kate und Guy, aber wenn ich sage, was ich sagen möchte, wenn ich aus Leibeskräften schreie: »Ja, es ist meine Schuld! Ihr wisst, dass es meine Schuld ist!«, wenn ich zulasse, dass meine Hysterie die Oberhand gewinnt, werde ich es nicht einmal schaffen, aus dem Auto auszusteigen.
    Ich schließe die Augen und hole tief Luft. Und dann sage ich: »Danke fürs Abholen, Joe.«
    Er dreht den Kopf und wirft mir einen bekümmerten Blick zu. »Immer gern«, sagt er.

5
    D C Joanne Aspinall setzt sich hinter das Steuer ihres grauen Ford Mondeo. Sie hatte die Wahl gehabt zwischen »Mitternachtshimmel« oder »Sternenhimmel«. Zwischen zwei Grautönen also. Aber Joanne hatte sich keine Gedanken um die Farbe gemacht; ihr kam es allein auf die Motorleistung an.
    In den letzten Jahren wurde das Budget der Zivilfahnder stark gekürzt. Der Gedanke dahinter war vermutlich, dass sich im richtigen Leben die wenigsten Kripobeamten wilde Verfolgungsjagden liefern und flüchtige Dealer und gestohlene Autos eher ein Fall für die Kollegen von der Verkehrspolizei sind. Was Joanne wirklich schade fand, denn gegen eine aufregende Verfolgungsjagd hätte sie nichts einzuwenden gehabt.
    In der Wache heißt es, Joanne kenne nur zwei Geschwindigkeiten: Stillstand oder Vollgas.
    Manchmal fragt sie sich, ob es ein Fehler war, sich bei der Kripo zu bewerben. Die Autos sind so langsam. Außerdem würde sie als einfache Polizistin wesentlich mehr verdienen; sicher wäre sie längst zum Sergeant aufgestiegen. Als Ermittlerin Karriere zu machen, ist wesentlich mühsamer. Deswegen herrscht ständiger Ermittlermangel. Die Bezahlung schreckt Berufsanfänger ab, besonders jene, die eine Familie zu ernähren haben.
    Joanne wirft einen letzten Blick zum Haus hinüber und denkt über die Szene nach, die sie eben miterlebt hat. Normalerweise verdächtigt sie instinktiv die nächsten Angehörigen. Die Statistik irrt fast nie. Die meisten verschleppten Kinder werden von einem Bekannten oder Verwandten entführt.
    Das ist eine der heikelsten Aufgaben der Ermittler – den Angehörigen die benötigten Informationen abzuluchsen, die Eltern auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten abzuklopfen und gleichzeitig absolut mitfühlend zu erscheinen.
    Natürlich hat Joanne in ihrer Ausbildung gelernt, sich nicht zu Vorurteilen verleiten zu lassen. Nicht in diesem Beruf; das wäre Zeitverschwendung. Vorgefasste Annahmen trüben das Urteilsvermögen und lassen Alternativen unentdeckt. In Momenten wie diesen hat Joanne immer die Worte ihres alten Physiklehrers im Ohr, der gern Albert Einstein zitierte: »Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.«
    Mit einem flüchtigen Lächeln zieht Joanne ihren Notizblock heraus. Sie geht die Liste noch einmal durch und unterstreicht gedankenverloren den Namen Guy Riverty . Der Vater des vermissten Kindes. Ihr fällt auf, dass sie den Stift bei ihm fester aufs Papier aufgedrückt hat als bei den anderen. Beim Gespräch mit den Eltern hat sie das G immer wieder nachgezogen, ohne es zu merken.
    Warum? Er hat keinerlei Vorstrafen und ist ein unbescholtener Mann. Aber irgendetwas hat sie gestört. Joanne lässt den Blick durch das verschneite Tal wandern und denkt angestrengt nach. Guy Riverty hatte betreten und unsicher
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