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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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Klingeln, hustet und ruft: »Ich bin wach! Ich bin wach! Ich bin praktisch schon auf dem Weg zu Booths, keine Sorge, ich habe es nicht vergessen!«
    »Joe?«
    Er weiß sofort, dass ich nicht anrufe, um ihm wegen der Pizzazutaten einen Vortrag zu halten. »Was ist los, Baby? Was ist passiert?«
    »Lucinda«, sage ich. Ich versuche mit fester Stimme zu sprechen. »Kates Tochter Lucinda. Sie wird vermisst.«
    »O Gott, Lise! Seit wann? Wo war sie? Hast du mit Kate gesprochen? Hat sie die Polizei verständigt?«
    »Joe, es ist noch viel schlimmer«, sage ich und verschlucke mich fast an meinen eigenen Worten. »Es ist noch viel schlimmer, denn es ist alles meine Schuld. Dass sie verschwunden ist, ist allein meine Schuld!«
    »Warum sollte es deine Schuld sein?«, sagt er. »Das ergibt doch gar keinen Sinn.«
    So ist er, mein Joe. Er verteidigt mich, noch bevor er alle Fakten kennt. Egal, was ich getan habe. Egal, ob ich schuldig bin oder nicht. Joe bläst zum Gegenangriff auf jeden, der mich angreift, selbst wenn ich im Unrecht bin.
    Aber heute ist sein Kampf aussichtslos.
    »Lucinda sollte eigentlich bei uns übernachten«, sage ich. »Sie sollte nach der Schule mit Sally mitkommen, um an einem Referat zu arbeiten. Ich weiß nicht mehr, für welches Fach, Erdkunde vielleicht, ich kann mich nicht erinnern. Aber dann war Sally« – ich bringe es kaum heraus –, »Sally war gar nicht …«
    »Sally war gestern gar nicht in der Schule«, beendet er den Satz für mich.
    »Genau«, sage ich leise. »Sie war nicht da. Sie hat gesagt, sie fühle sich nicht wohl, und ich hatte keine Zeit, mit ihr zu diskutieren, deswegen habe ich ihr erlaubt, zu Hause zu bleiben. Als sie heute Morgen in den Bus einstieg und Lucinda nicht da war, hat sie Panik wegen des Referates bekommen und Lucinda auf dem Handy angerufen. Und weil Lucinda nicht rangegangen ist, hat sie es bei Kate probiert …«
    »Und Kate hat gesagt: ›Lucinda ist doch bei euch.‹«
    »Genau.«
    Während bei Joe der Groschen fällt, überkommt mich das Grauen zum zweiten Mal an diesem Morgen. Ich sehe vor mir, wie er auf der Bettkante sitzt, denn obwohl er das Gegenteil behauptet hat, war er alles andere als wach. Er ist immer noch in Unterwäsche und lässt den Kopf hängen.
    »Dann wird sie also vermisst seit … seit wann?«, fragt er. »Seit gestern Nachmittag?«
    Ich sage nichts.
    »Scheiße«, sagt er, als ihm das Ausmaß der Katastrophe bewusst wird. »Sie ist seit gestern früh verschwunden?«
    »Das wissen wir noch nicht«, sage ich, »aber es liegt eine ganze Nacht dazwischen, Joe. Sie war die ganze Nacht weg, und sie ist erst dreizehn. Dreizehn! Sie ist erst dreizehn.« Ich muss jetzt lauthals schluchzen. »Was ist mit ihr passiert? Du lieber Himmel, Joe, ich fühle mich, als würde uns das passieren, nur dass es schlimmer ist, weil ich nicht unsere Tochter verloren habe, sie ist nicht unsere Tochter … sondern die von Kate.«
    Joe seufzt, und dann sagt er so sanft wie möglich: »Lise, warum hast du sie nicht angerufen und ihr gesagt, dass Sally krank ist?«
    »Ich habe Sally gesagt, sie soll Lucinda eine SMS schicken und ihr sagen, dass sie nicht in die Schule kommt, aber ich hätte das persönlich erledigen sollen, ich hätte Kate anrufen müssen …«
    » Kate «, sagt er plötzlich mit Nachdruck, »du lieber Gott, Kate. «
    Ich stelle mir sein Gesicht vor.
    »Joe«, sage ich vorsichtig, »willst du damit sagen, es wäre einfacher, wenn es irgendein anderes Kind wäre? Bloß nicht das von Kate? Ist es das, was du mir sagen willst?«
    »Nein«, sagt er schnell, fügt aber hinzu: »Na ja, du weißt schon, wie ich das meine … oder?«
    Ja, ich weiß es, aber so dürfen wir jetzt nicht denken. Ich schließe die Augen. Ich fühle mich, als hätte man mir in den Bauch geschossen. Ich kann mich nicht mehr bewegen.
    »Joe, hilf mir«, weine ich. »Hilf mir. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Aber ich, Baby«, tröstet er mich sanft, »ich weiß es. Wo bist du? Ich komme jetzt und hole dich. Bleib, wo du bist. Ich komme jetzt.«
    Kate und Guy Riverty leben in Troutbeck so wie wir, aber ihr Haus steht am anderen Ende des Tals. Ich lasse mein Auto vor Sams Schule stehen. Joe holt mich mit dem Taxi ab.
    Sam war gerade aus dem Auto gesprungen und in die Schule gelaufen, als ich den schrecklichen Anruf von Sally erhielt. Ich glaube, ich habe mich nicht einmal von ihm verabschiedet. Sally klang furchtbar. Ich weiß nicht, was ich tun soll, ob ich sie nach Hause
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