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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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wollen. Wo sie doch in Wahrheit alles andere als erwachsen war.
    Joanne muss an das seltsam übersteigerte Selbstvertrauen denken, das die Mädchen in diesem kritischen Alter überkommt. Die meisten Jungs werden erst später so selbstbewusst, so furchtlos, um den sechzehnten Geburtstag herum. Zu dem Zeitpunkt erreicht ihre Dreistigkeit den Höhepunkt; nicht selten hat Joanne erlebt, dass Jungen, die vorher noch nie Ärger gemacht haben, plötzlich auffällig werden.
    Gerade erst letzte Woche wurde ihr ein Memo zugestellt. Die Army ist auf der Suche nach jungen Menschen, deren Leben sich »mit der rechten Anleitung« wieder in »anständige Bahnen« lenken lässt.
    In dem Memo stand: »Möglicherweise haben sie der British Army viel zu bieten«, und Joanne dachte: Ja, garantiert. Aber bedauerlicherweise lassen viele junge Männer jeden gesunden Selbsterhaltungstrieb vermissen; sie ziehen begeistert in die Schlacht, halten sich für unverwundbar, für unsterblich. Kein Wunder, dass die verdammte Army es auf sie abgesehen hat.
    Nach dem Briefing macht Joanne sich auf den Weg zu den Eltern des vermissten Mädchens. Sie kennt das Haus. Vor vielen Jahren, bevor die Kirche es verkaufte, wurde es als Pfarrhaus genutzt, aber die Heizkosten für das große Gebäude wurden dem Klerus zu teuer.
    Die Familie ist nicht polizeibekannt, genauso wenig wie die meisten Einwohner von Troutbeck. Solche Leute wohnen hier nicht.
    Innerhalb der Grenzen des Nationalparks bekommt Joanne es nur selten mit Schwerverbrechern zu tun. Die Gegend zählt zu den sichersten in ganz Großbritannien. Man sieht hier tagtäglich dieselben Gesichter und könnte sich nach einem »Ausrutscher« kaum verstecken. Da ist es praktisch unmöglich, jemanden aufs Kreuz zu legen oder illegalen Aktivitäten nachzugehen.
    Die Leute ziehen hierher, weil sie von einem besseren Leben für sich und ihre Kinder träumen. Die meisten versuchen, sich anzupassen. Sie geben sich Mühe, gut mit den Nachbarn auszukommen. Sie sind stolz darauf, hier zu leben, und sie tun alles dafür, damit das so bleibt.
    Dabei ist es manchmal gar nicht so einfach, hierzubleiben.
    Die Immobilienpreise sind exorbitant, Industrie gibt es hingegen kaum. Wer hierherzieht, sollte eine sichere Einkommensquelle haben, andernfalls hält er nicht lange durch. Wer herkommt mit der Vorstellung, ein kleines Café, einen Blumenladen oder eine Galerie zu eröffnen, landet nicht selten auf dem harten Boden der Tatsachen, sobald er den Kredit nicht mehr bedienen kann.
    Joanne ist aufgefallen, dass die meisten Neuzugezogenen sich schon nach wenigen Jahren stolz als »Einheimische« bezeichnen. Als sei das eine Ehrenauszeichnung. Joanne hat das nie verstanden. Sie ist eine Einheimische. Sie hat ihr ganzes Leben hier verbracht, käme aber nicht auf die Idee, damit herumzuprahlen. Wozu auch?
    Ihre Mutter und ihre Tante Jackie kamen als Teenager aus Lancashire in den Lake District, um als Zimmermädchen zu arbeiten. Jackie schnauft empört, wenn man sie eine Einheimische nennt.
    »Einheimisch?«, sagt sie dann abschätzig, »wozu sollte ich mich bei diesen Leuten anbiedern? Die haben ja nicht mal Sinn für Humor …«
    Joanne entdeckt die Einfahrt der Rivertys und tritt auf die Bremse.
    Die Tochter gehört nicht zu der Sorte Mädchen, die von zu Hause ausreißt, das hat Joanne auf den ersten Blick gesehen. Nein, so eine ist Lucinda Riverty nicht.
    Joanne zieht sich den BH zurecht, klettert aus dem Auto und denkt wehmütig an die Zeit zurück, als sie noch in Uniform arbeitete und ihr wenigstens die Klamotten gestellt wurden. Inzwischen verbringt sie mit der Suche nach geeigneter Arbeitskleidung fast so viel Zeit wie mit den Büroarbeiten. Und bei einer so undankbaren BH-Größe wie 85 Doppel-G findet sie nur selten ein Oberteil, in dem sie nicht wie ein Fass aussieht.
    Sie zieht den Reißverschluss ihres Parkas zu und betritt den Gartenpfad. Immerhin kann sie, seit sie in Zivil arbeitet, bei fremden Leuten klingeln, ohne sofort für eine kostümierte Stripperin gehalten zu werden.
    Nicht dass in diesem Haus jemand auf so eine Idee gekommen wäre.
    »Mrs Riverty?«
    Die Frau schüttelt den Kopf. »Ich bin die Schwester, Alexa. Kommen Sie herein, es sind schon alle da.«
    Joanne zeigt ihren Dienstausweis vor, aber die Frau sieht nicht hin. Sie fragt nicht nach Joannes Namen, wie so viele Menschen in ihrer Lage. Die meisten wollen, dass man schnell hereinkommt, dass man keine Zeit verliert.
    Sie sind jetzt schon dabei,
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