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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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zum Supermarkt zu schicken, als das Telefon klingelt. Es ist erst zwanzig nach sieben. Wer immer um diese Zeit anruft, wird nichts Gutes zu erzählen haben. Niemand ruft wegen einer guten Nachricht um zwanzig nach sieben an.
    »Lisa, hier ist Kate.«
    »Kate«, sage ich, »was ist denn? Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Ja … nein … nun, irgendwie nicht. Hör mal, tut mir leid, dich so früh zu stören, aber ich wollte mit dir sprechen, solange die Jungs noch da sind.«
    Meine Freundin Kate Riverty kenne ich seit etwa fünf Jahren. Sie hat zwei Kinder, die so alt sind wie meine Älteste, Sally, und mein Jüngster, Sam.
    »Es ist nichts Wichtiges. Ich wollte es dir nur sagen, damit du was dagegen tun kannst, bevor es außer Kontrolle gerät.« Ich schweige und lasse sie weiterreden. »Es ist bloß so, dass Fergus letzte Woche nach Hause kam und meinte, er bräuchte Geld für die Schule. Ich habe mir in dem Moment nichts dabei gedacht, du weißt ja, wie das ist … sie brauchen ständig Geld für dies und das. Ich habe ihm Geld gegeben. Aber gestern Abend habe ich mich mit Guy unterhalten, und er meinte, Fergus hätte ihn ebenfalls um Geld gebeten. Da dachten wir, wir fragen mal nach.«
    Ich habe keine Ahnung, worauf sie hinauswill, was aber bei Gesprächen mit Kate nichts Ungewöhnliches ist. Ich versuche, möglichst interessiert zu klingen. »Was glaubst du also, wofür er das Geld braucht?«
    Wahrscheinlich wird sie jetzt sagen, dass die Lehrer neuerdings Süßigkeiten verkaufen. Irgendetwas, mit dem sie nicht einverstanden ist. Das sie prinzipiell ablehnt.
    »Es ist wegen Sam«, platzt Kate heraus, »er lässt sich dafür bezahlen, dass er mit den anderen spielt.«
    »Wie bitte?«
    »Die Kinder geben ihm Geld, damit er mit ihnen spielt. Ich weiß nicht genau, wie viel, denn … offenbar hat er so eine Art Tarifsystem entwickelt. Ehrlich gesagt ist Fergus wegen der Sache am Boden zerstört. Er hat herausgefunden, dass er wesentlich mehr bezahlen muss als andere Kinder.«
    Ich drehe mich zu Sam um. Er trägt seinen Mario-Kart-Pyjama und lässt unseren alten orangeroten Kater Milch direkt von seinem Löffel trinken.
    Ich seufze.
    »Lisa, du bist mir doch hoffentlich nicht böse, weil ich angerufen habe?«
    Ich zucke zusammen. Kate gibt sich Mühe, freundlich zu klingen, aber ihre Stimme hat einen schrillen Unterton.
    »Nein, überhaupt nicht«, sage ich. »Danke fürs Bescheidsagen.«
    »Es ist nämlich so, wenn es mich betreffen würde … also wenn eines meiner Kinder auf so eine Idee käme … tja, ich würde es wissen wollen.«
    »Auf jeden Fall«, pflichte ich ihr bei, und dann hänge ich noch meinen Standardsatz an, jenen Satz, den ich anscheinend immer und überall und zu jedem sage, unabhängig von der Lage: »Überlass es mir«, sage ich mit fester Stimme. »Ich werde mich drum kümmern.«
    Kurz bevor ich auflege, höre ich Kate noch fragen: »Mit den Mädchen ist alles in Ordnung?«
    »Wie bitte? Ja, danke«, antworte ich, weil ich verwirrt bin, weil ich mich schäme, weil ich nicht mehr klar denken kann. Ich frage mich, wie ich das Problem von Sams neuer Geschäftsidee angehen soll.
    Nach dem Auflegen denke ich: die Mädchen? Wie war das gemeint? Aber dann vergesse ich es gleich wieder; zu oft legt Kate es darauf an, mich in die Defensive zu drängen. Mich mit ihrer umständlichen Art zu verwirren. Das ist so eine Eigenschaft von ihr, an die ich mich erst gewöhnen musste.



2
    W ir wohnen zur Miete in einem zugigen Haus in Troutbeck.
    Troutbeck liegt am östlichen Ufer des Lake Windermere und taucht vorzugsweise in Bildbänden mit Titeln wie »Die malerischsten Dörfer Englands« auf. Angeblich stehen in Troutbeck zweihundertsechzig Häuser, allerdings frage ich mich, wo deren Bewohner sich die ganze Zeit verstecken. Auf der Straße sehe ich sie jedenfalls kaum.
    Natürlich handelt es sich bei den meisten Gebäuden um Ferienhäuser. Viele andere gehören älteren Leuten, die sich hier zur Ruhe gesetzt haben; vermutlich nehmen sie hauptsächlich deswegen nicht am Alltagsleben teil, weil sie keine schulpflichtigen Kinder mehr haben. Oder Enkel, die sie mehrmals pro Woche von der Schule abholen müssen. Oder zum Schwimmunterricht oder in den Park fahren.
    Früher dachte ich immer, es wäre geradezu tragisch, wie Familien heutzutage auseinanderfallen, wie Menschen ihre Bindungen kappen und lieber an einem schönen Ort leben statt in der Nähe ihrer Verwandten. Inzwischen habe ich eingesehen, dass die
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