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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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ich war kurz zuvor aufgewacht in panischer Angst, ich könnte vergessen haben, die Glückwunschkarte an eine frischgebackene Mutter abzuschicken, die bei mir im Tierheim arbeitet.
    »Haben sie dir wenigstens ein ordentliches Trinkgeld gegeben?«, murmelte ich und presste mein Gesicht ins Kissen, als Joe umständlich an mich heranrutschte. Er hatte eine Bierfahne.
    Wenn er Nachtschicht fährt, hat er immer ein paar Dosen Bier im Handschuhfach. Er sagt, so kann er sofort einschlafen, wenn er spätnachts ins Bett geht. Ich habe ihm immer wieder erklärt, dass ein trinkender Taxifahrer keine gute Sache ist. Aber genauso gut könnte ich mit der Wand reden. Also habe ich es aufgegeben.
    »Einen ganzen Hunderter haben sie springen lassen«, antwortete er und kniff mir in den Hintern, »und ich habe vor, sexy Unterwäsche davon zu kaufen, für dich.«
    »Du meinst wohl, für dich .« Ich gähnte. »Ich brauche einen neuen Auspuff.«
    Seit acht Jahren kaufe ich an Joes Geburtstag neue Unterwäsche – für mich. Jedes Jahr frage ich ihn: »Was möchtest du?«, und jedes Jahr sieht er mich an, als wollte er sagen: Das weißt du doch!
    Einmal suchte er die Wäsche selbst aus. Wir beschlossen, es bei diesem einmaligen Versuch zu belassen, nachdem er mit einem roten Etwas nach Hause gekommen war. Inklusive roter Netzstrümpfe. »Joe, das mache ich in Zukunft lieber selbst«, sagte ich, was er mit einem enttäuscht klingenden »okay« quittierte. Dabei wusste er eigentlich ganz genau, dass ich für Billigfummel nicht zu haben bin.
    Die Hunde leeren die Näpfe und trotten im Rudel an die Hintertür. Ruthie ist mein Liebling. Sie ist eine Mischung aus einem Staffie und einem Irish Setter oder Ungarischen Vorstehhund. Sie hat das gescheckte Fell eines Staffordshire-Bullterriers, aber statt des üblichen, herbstlichen Schokobrauns leuchtet ihr Fell in wilden Rot- und Hennatönen, in Kupfer und Bronze. Außerdem hat sie unglaublich lange Beine, die aussehen, als gehörten sie zu einem anderen Hund.
    Ruthie kam vor fünf Jahren ins Tierheim, zusammen mit einem kompletten Wurf unerwünschter Welpen. Die Hündin eines Züchters war ausgebüxt und bekam danach sieben Junge. Ruthie war das einzige, das wir nicht vermitteln konnten, und so landete sie, wie es oft passiert, bei uns.
    Zum Glück ist Joe der geborene Hundeführer. Er strahlt eine unverkrampfte Autorität aus, die alle Tiere magisch anzieht. Er kann mit Hunden umgehen wie andere Leute mit Zahlen oder Computern. Selbst wenn ich einen Problemfall mit nach Hause bringe, sorgt Joe mit seinem Tier-Zen dafür, dass der Hund sich spätestens bis zum Schlafengehen eingewöhnt hat.
    Ich öffne die Hintertür, und die Hunde stürmen hinaus. Im selben Moment drängen die Kälte und die Katzen herein. Dieses Jahr wird es früh Winter. Gestern wurde Schnee angesagt, und tatsächlich hat es in der Nacht heftig geschneit. Mir wird sofort eiskalt. Ein Tierschrei hallt durch die dünne Luft des Tals, und hastig werfe ich die Tür wieder zu.
    Der Kaffee ist fertig, und ich schenke mir ein, was in den Coffeeshops »Americano« genannt wird – mit heißem Wasser verdünnter Espresso. Meine Tasse fasst beinahe einen halben Liter. Ich höre Geräusche im Obergeschoss, das Tapsen nackter, kleiner Füße auf den Holzbohlen, die Toilettenspülung. Jemand putzt sich die Nase, und ich mache mich bereit. Ich habe irgendwo gelesen, Kinder bezögen ihr Selbstwertgefühl direkt aus dem Gesicht, das die Eltern bei ihrem Anblick machen, und ich erschrak; wurde mir doch klar, dass ich meine Kinder morgens geradezu gleichgültig begrüße. Das liegt natürlich nur daran, dass mir hundert Dinge gleichzeitig durch den Kopf gehen, was sie aber nicht ahnen können. Vermutlich haben sie sich während der ersten Lebensjahre oft gefragt, ob ich sie überhaupt wiedererkenne. Das tut mir mittlerweile furchtbar leid, sodass ich es manchmal, wie ich fürchte, übertreibe. Mein Jüngster saugt die Aufmerksamkeit förmlich auf, aber seine beiden älteren Geschwister, insbesondere die dreizehnjährige Sally, beäugen meine Anstrengungen eher misstrauisch.
    Nun sitzt sie am Küchentisch, die vollen Lippen vom Schlaf geschwollen und das Haar vorläufig zum Pferdeschwanz zurückgebunden; sie wird sich später darum kümmern. Vor ihr liegt ihr iPod touch .
    Sie löffelt sich Rice Krispies in den Mund und wehrt gleichzeitig mit dem Ellenbogen eine Katze ab. Ich stehe am Wasserkocher und beobachte sie. Sie hat dunkles Haar, wie
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