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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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schweißnass sind. Und da weiß er es ganz sicher. Lächelnd gesteht er sich ein, dass es eine gute Idee war, hierherzukommen.
    Er klappt die Sonnenblende herunter und betrachtet sich im Spiegel. Er sieht immer noch genauso aus wie vor zehn Minuten, aber er staunt über das neue Gefühl. Es ist, als wäre endlich etwas eingerastet, und zum vielleicht ersten Mal im Leben begreift er, was die Leute meinen, wenn sie davon sprechen, etwas fühle sich »einfach richtig« an.
    Er startet den Motor, schaltet die Sitzheizung ein und macht sich, das verzückte Lächeln immer noch im Gesicht, auf den Weg nach Windermere.

Erster Tag DIENSTAG

1
    I ch wache noch erschöpfter auf, als ich eingeschlafen bin. Ich habe nur fünfeinhalb Stunden Schlaf bekommen und hebe den Kopf erst, nachdem ich dreimal auf die Snooze-Taste gedrückt habe.
    Ich habe es aufgegeben, mir diese Art von Müdigkeit erklären zu wollen. Eine Müdigkeit, bei der man ganz am Anfang noch denkt: Was stimmt mit mir nicht? Sicher habe ich irgendeine seltene Stoffwechselstörung. Oder, schlimmer noch, ich habe mir eine gefährliche Krankheit zugezogen, denn so müde fühlt sich kein Mensch. Oder?
    Aber ich habe mich durchchecken lassen. Meine Blutwerte sind in Ordnung. Mein Hausarzt – ein kluger alter Mann, der vermutlich mehr als genug Patientinnen hat, die sich über chronische Erschöpfung beklagen – teilte es mir mit einem Augenzwinkern mit: »Tut mir leid, Lisa«, sagte er, »aber diese Krankheit, an der Sie leiden, nennt sich das Leben.«
    Manchmal komme ich mir vor wie in einer riesigen Versuchsanordnung. Als hätte sich irgendein Genie überlegt, alle Frauen der westlichen Welt in ein großes Experiment zu verwickeln: Wir bilden sie aus! Wir geben ihnen gute, erfüllende Jobs! Und dann beobachten wir, wie sie sich fortpflanzen. Wir schauen zu, wie ihnen alles um die Ohren fliegt.
    Sie finden wohl, dass ich jammere?
    Ich finde selbst, dass ich jammere.
    Das ist das Schlimmste daran. Ich kann mich nicht einmal beschweren, ohne sofort ein schlechtes Gewissen zu bekommen, denn ich habe alles, was man sich nur wünschen kann. Was man sich wünschen sollte. Und ich habe es mir tatsächlich gewünscht, alles davon.
    Wohin bin ich verschwunden?, denke ich, als ich vor dem Badezimmerspiegel stehe und mir die Zähne putze. Früher war ich so ein netter Mensch. Früher habe ich mir Zeit für die anderen genommen. Jetzt befinde ich mich in einem gehetzten, gereizten Dauerzustand, und das ärgert mich.
    Ich bin überfordert. Besser kann ich es nicht beschreiben. Das wird auf meinem Grabstein stehen.
    Lisa Kallisto. Sie war ja so überfordert.
    Ich stehe als Erste auf. Manchmal ist meine Älteste vor mir unten, wenn ihre Haare besonders widerspenstig sind und einer Spezialbehandlung bedürfen. Aber normalerweise bin ich um zwanzig vor sieben noch allein in der Küche.
    »Stehen Sie einfach eine Stunde früher auf!«, lese ich in Frauenzeitschriften. »Genießen Sie die Stille, die Ruhe vor dem Sturm. Planen Sie in aller Ruhe Ihren Tag, legen Sie eine To-do -Liste an, trinken Sie heißes Wasser mit einer Zitronenscheibe. Das entgiftet, und Sie fühlen sich gleich frischer!«
    Ich schalte die Kaffeemaschine ein und schütte Trockenfutter in die Näpfe. Wir haben Hunde, drei Staffordshire-Bullterrier-Mischlinge – nicht gerade meine erste Wahl, aber sie sind in Ordnung. Stubenrein, gutmütig und kinderlieb, und wenn ich sie morgens aus dem Hauswirtschaftsraum lasse, wo sie schlafen, schießen sie übermütig an mir vorbei, setzen sich vor ihre Schüsseln und sehen mich erwartungsvoll an. »Los«, sage ich, und sie stürzen sich auf das Futter.
    Den Morgenspaziergang übernimmt meistens mein Mann; Joe arbeitet oft bis spät in die Nacht. Könnten Sie sich vorstellen, wie er mit gelockerter Krawatte in einem Büro sitzt und sich wegen einer Deadline die Haare rauft? Ich tue das hin und wieder. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Taxifahrer heiraten würde, schon gar nicht einen, auf dessen Van in großen silbernen Lettern »Joe le taxi« steht.
    Gestern Abend hat er Fahrgäste zum Flughafen Heathrow gebracht. Ein paar Araber hatten ihm die doppelte Bezahlung geboten dafür, dass er sie während ihres Aufenthalts im Lake District herumchauffierte. Sie wollten das Übliche: einen Ausflug zum Wordsworth-Haus und zu Beatrix Potters Farm, Bootsfahrt auf dem Ullswater, Mint-Cakes von Kendal. Gegen vier Uhr morgens hörte ich, wie er sich ins Bett fallen ließ, denn
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