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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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gewirkt. Er hatte lang und breit geredet, ohne etwas zu sagen. Joanne muss unwillkürlich an den Fernsehmoderator Richard Madeley denken.
    Joanne hat nichts gegen Geplapper; viele Menschen tendieren dazu, nach belastenden Vorfällen ohne Punkt und Komma zu reden – oder völlig zu verstummen. Dazwischen gibt es kaum etwas. Entweder wollen sie Joanne absolut alles erzählen, angefangen bei ihrer Geburt bis hin zu den Ereignissen, die sie zum falschen Zeitpunkt an den falschen Ort geführt haben, oder sie schweigen, als wären sie plötzlich taubstumm.
    Mit den Schweigern kommt Joanne gut zurecht. Besonders mit den schuldigen Schweigern. Sie braucht gar keine Tricks anzuwenden. Keine »Guter Cop, böser Cop«-Spielchen. Keine Vorträge à la »Sie können mir vertrauen«, kein Gesäusel. Sie ist nicht wie die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, die ihr als Kind höllische Angst eingejagt hat. Nein, Joanne geht gewissenhaft und methodisch vor. Sie arbeitet den Fall von Anfang bis Ende durch, bis sie ein Ergebnis erzielt.
    Andere mögen sie langweilig finden, aber das ist Joanne egal. Genauso egal ist ihr, was die Kollegen über sie denken. Sie arbeitet so, weil es sich ihrer Meinung nach gar nicht anders arbeiten lässt. Wer zu locker und zu lässig an einen Fall herangeht, macht sich am Ende nur lächerlich. Joanne hat im Laufe der vergangenen Jahre mit vielen Idioten zusammengearbeitet und weiß, dass es rein gar nichts bringt, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Im Gegenteil.
    Joanne klopft mit dem Kugelschreiber an das Lenkrad und denkt an das vermisste Mädchen.
    Lucinda Riverty.
    Dreizehn Jahre alt, zierlich, klein, mit kinnlangem straßenköterblondem Haar. Sie geht gern zu Schule, sie bekommt Klavierunterricht, sie ist kein Sport-Ass und nicht gerade kontaktfreudig. Wobei niemand sie als introvertiert bezeichnen würde. Sie ist ein ganz gewöhnliches Mädchen.
    Doch für ihre Eltern ist sie etwas ganz Besonderes . Und jetzt ist sie weg.
    »Wer hat sie mitgenommen?«, fragt Joanne sich laut.

6
    I mmer gern, sagt Joe.
    Ich und Joe, wir beide, für immer.
    Das hat er zu mir gesagt, als ich die Kinder aus mir herauspresste. Das sagt er, wenn ich nach zu viel Wein würgend über der Kloschüssel hänge. Oder wenn eine besonders schöne Frau den Pub betritt und ich erstarre und sofort überprüfe, ob er sie bemerkt hat; aber meistens hat er das nicht, meistens sieht er dann mich an und lächelt über meine Unsicherheit. Für immer, sagt er, und mir geht es wieder gut. Es stützt mich.
    Wenn mir etwas misslingt, ist es egal. Denn in Joes Augen ist nichts, was ich tue, jemals misslungen.
    Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, er kann ebenso schlecht gelaunt und jähzornig sein wie jeder andere. Und wir hatten ganz sicher auch schwierige Zeiten. Aber das waren eben nur Phasen. Wir sind wie alle anderen Eltern in dieser Welt, auch wir versuchen ständig, es besser zu machen, besser zu sein, mehr zu schaffen. Tag für Tag.
    Hinter der Kurve taucht Kates Haus auf, und mit Schrecken sehe ich, wie viele Autos davor geparkt stehen. Auf einmal bleibt mir die Luft weg. »O Gott, Joe, ich kann da nicht rein. Bitte, halt an.«
    Er tut mir den Gefallen und schaltet den Motor aus.
    Wir stehen etwa fünfzig Meter vom Grundstück der Rivertys entfernt auf dem Seitenstreifen. Das Haus sieht imposant aus. Mehr denn je. Eine riesige Villa aus bleigrauem hiesigem Bruchstein. Im Erkerfenster steht ein Weihnachtsbaum, aber die Lichter brennen nicht.
    »Was willst du tun?«, fragt Joe.
    »Ich weiß, dass ich da rein muss. Aber eigentlich will ich nur nach Hause und mich ins Bett verkriechen. Ich will den Kopf in den Sand stecken und verschwinden.« Ich drehe mich zu ihm um und sage mit brüchiger Stimme: »Ich will nicht sehen müssen, was ich ihr angetan habe, Joe!«
    Er nickt verständnisvoll. »Aber dir bleibt keine Wahl. Nicht hinzugehen wäre noch viel schlimmer. Sicher erwartet sie das jetzt von dir.«
    »Ich weiß.«
    Für eine Weile sitzen wir schweigend da. Ich gehe in Gedanken durch, was ich zu Kate sagen werde, und Joe lässt mir die Zeit, die ich brauche. Ich habe einen fauligen, üblen Geschmack im Mund. Ich schlucke immer wieder, um ihn loszuwerden, aber es hilft alles nichts, mein Mund ist vollkommen trocken.
    Als Joe spürt, dass ich mich ein Stück weit gefangen habe, redet er weiter. »Was denken Kate und Guy eigentlich jetzt? Glaubst du, sie gehen … vom Schlimmsten aus?«
    »Wie meinst du das? Dass sie tot
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