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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj
Autoren: Tauben flieggen auf
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MELINDA NADJ ABONJI
     
    Tauben fliegen auf
     
    Roman
     
     
    Titos Sommer
     
    Als wir nun endlich mit
unserem amerikanischen Wagen einfahren, einem tiefbraunen Chevrolet,
schokoladefarben, könnte man sagen, brennt die Sonne unbarmherzig auf die
Kleinstadt, hat die Sonne die Schatten der Häuser und Bäume beinahe restlos
aufgefressen, zur Mittagszeit also fahren wir ein, recken unsere Hälse, um zu
sehen, ob alles noch da ist, ob alles noch so ist wie im letzen Sommer und all
die Jahre zuvor.
    Wir fahren ein, gleiten durch
die mit majestätischen Pappeln gesäumte Strasse, die Allee, welche die
Kleinstadt vorankündigt, und ich habe es nie jemandem gesagt, dass mich diese
zum Himmel strebenden Bäume in einen schwindelerregenden Zustand versetzen,
einen Zustand, der mich mit Matteo kurzschliesst (der Taumel, dem ich verfalle,
als Matteo und ich uns endlos im Kreis drehen, auf der schönsten Lichtung des
Dorfwaldes, innig, seine Stirn auf meiner, später dann Matteos Zunge, die
eigenartig kühl ist, seine schwarzen Körperhaare, die sich so an seine Haut
schmiegen, als wären sie ihrer hellen Schönheit völlig ergeben).
    Als wir an den Pappeln
vorbeifahren, mir dieses Flirren den Verstand raubt, unser schokoladefarbenes
Schiff geräuschlos von einem Baum zum nächsten gleitet, dazwischen die Luft
der Ebene, die sichtbar wird, ich kann sie sehen, die Luft, die jetzt stillsteht,
weil die Sonne so erbarmungslos ist, da sagt mein Vater zur Klimaanlage hin,
immer noch alles genau gleich, mit kleiner Stimme sagt er, hat sich nichts
verändert, gar nichts.
    Ich frage mich, ob sich mein
Vater eine Truppe von professionellen Gärtnern wünscht, die zumindest die Äste
zurechtstutzen — dem Wildwuchs Zivilisation entgegensetzen! — oder die mit
effizienten Maschinen die die Kleinstadt vorankündigenden Pappeln fällen, ein
für allemal! (Und wir würden auf einem dieser Strünke sitzen, mit unseren
Blicken die Ebene, die sich mit Mittagshitze vollgesaugt hat, beherrschen, und
mein Vater, der sogar einen Strunk besteigen müsste, sich einmal um die eigene
Achse drehen würde, um dann mit der bitteren Stimme eines Menschen, der spät,
aber besser spät als nie!, Recht bekommt, zu sagen: Endlich sind diese verdammten,
staubigen Bäume weg.)
    Niemand weiss, was mir diese
Bäume bedeuten, die Luft zwischen den Bäumen, die man genau sehen kann, und
nirgends sind die Bäume so verheissungsvoll wie hier, wo die Ebene ihnen Platz
lässt, und ich wünsche mir auch diesmal stehenzubleiben, mich an einen dieser
Stämme zu lehnen, meinen Blick zu heben, mich von den raschen, kleinen
Bewegungen der Blätter verführen zu lassen, und ich bitte meinen Vater auch
diesmal nicht anzuhalten, weil ich auf die Frage "warum" keine
Antwort wüsste, weil ich vieles erzählen müsste, ganz bestimmt aber von Matteo,
um zu erklären, warum ich ausgerechnet hier anhalten will, so kurz vor dem
Ziel.
    Unser Wagen, wie von einer
geheimen Kraft gezogen, fast immun gegen die Unebenheiten der Strasse, fährt
also weiter, und bevor wir endgültig ankommen, haben wir noch ein weiteres Mal
ein "hat sich nichts verändert" zu passieren, muss die Zivilisation
noch einen Rückschlag, heisst einen Stillstand hinnehmen, und wir Kinder
drücken linkerhand unsere Gesichter gegen die Scheibe, die erstaunlich kühl
ist, sehen mit ungläubigen Augen Menschen, die in einem Berg von Müll leben,
hat sich nichts verändert, sagt mein Vater, Hütten aus Wellblech, Gummi, zerzauste
Kinder, die zwischen Autowracks und Haushaltmüll spielen, als gäbe es nichts Normaleres,
was ist mit den Scherben, will ich fragen, mit der Nacht, die einbricht, wenn
die Schatten sich bewegen, wenn all die Dinge, die in einem heillosen
Durcheinander daliegen, lebendig werden? Und ich vergesse in einem winzigen
Augenblick die Pappeln, Matteo, das Flirren, den Chevrolet, und die schwarze
Nacht der Ebene umhüllt mich mit ihrer ganzen zerstörerischen Kraft, und ich
höre sie nicht, die Lieder der Zigeuner, die vielbeschworenen, bewunderten, ich
sehe nur die gierigen Schatten im Dunkeln, von keiner Strassenlaterne
vertrieben.
    Und mein Vater schielt aus dem
Fenster, schüttelt den Kopf, hustet seinen trockenen Husten, er fährt so
langsam, dass man meinen könnte, er werde unseren Wagen in wenigen
Augenblicken zum Stillstand bringen, schaut euch das an, sagt er und klopft mit
dem Zeigefinger gegen das Seitenfenster (ich erinnere mich an ein Feuer,
dessen Rauch sich verirrt), ich, die die
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