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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
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jault auf.
    Sie taumelt rückwärts und fällt. Sie versucht, auf blutenden Händen davonzukriechen, und auf einmal fühle ich mich wie in jenem Winter, als ich acht Jahre alt war. Als die Frau meines Vaters sich die Pulsadern aufschnitt. Die Ironie des Schicksals entgeht mir nicht. Die andere Familie. Noch eine Zweitfamilie, die eine Ehefrau in den Wahnsinn treibt.
    Kate schaut zu mir herauf und macht sich auf einen weiteren Tritt gefasst. Lucinda zieht sich den Kapuzenpullover aus, um die Hände ihrer Mutter darin einzuwickeln.
    In dem Moment klingelt mein Handy.
    Wir starren einander an, wissen nicht, was wir jetzt tun sollen.
    »Keine Bewegung«, warne ich sie. »Wenn ihr euch bewegt, steche ich zu.«
    Ich ziehe das Handy aus meiner Hosentasche und trete ein paar Schritte zurück.
    »Mrs Kallisto?«
    »Ja.«
    »Hier spricht die Polizei«, sagt die Stimme. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass es einen Unfall gegeben hat …«

HEILIGABEND

43
    D er Schnee ist wieder da, gerade noch rechtzeitig. In der Innenstadt von Windermere tummeln sich die Menschen, und Joanne ist auf dem Weg zur Metzgerei, um die Pute abzuholen.
    Jackie musste heute Morgen zur Arbeit, aber weil Weihnachten dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, hat Joanne einen Tag frei. Und auf einmal hat sie dieses Weihnachtsgefühl. In diesem Jahr wird Weihnachten mehr sein als ein ganz gewöhnlicher Tag. In diesem Jahr freut sie sich auf ein richtiges Weihnachtsessen mit Jackie, mit allem Drum und Dran, und nach der Ansprache der Queen werden sie beide sich den Bauch mit brasilianischen Schokonüssen vollschlagen und auf dem Sofa einschlafen.
    Sie geht beim Gemüsehändler vorbei und kauft Pastinaken – dieses Jahr wird sie Wurzelgemüse als Beilage servieren –, dann schaut sie für die letzten Besorgungen noch kurz bei Booths vorbei.
    Große Geschenke haben weder sie noch Jackie zu erwarten. Jackies Sohn schickt schon seit Jahren nichts mehr, und so sind sie dazu übergegangen, sich an Weihnachten etwas zu gönnen. Joanne legt eine Dose überteuerte Körperbutter in ihren Einkaufswagen und fügt nach kurzem Überlegen noch ein Fußbad hinzu.
    Sie studiert die Packung und sieht auf einmal Jackie, wie sie in ihrer Pflegerinnenuniform und mit einem Likörglas in der Hand im Sessel sitzt und der Dampf des Fußbades an ihren Unterschenkeln aufsteigt. Ja, denkt Joanne, das ist genau das richtige Geschenk für sie.
    Als sie den Supermarkt verlässt, hängen die dunklen Wolken tief am Himmel. Für heute Nachmittag wurde erneuter Schneefall angesagt, und ein aufgeregter Schauder geht durch die ganze Stadt; alle wollen nach Hause, alle wollen die Tür hinter sich schließen und die Welt aussperren. Alle warten auf Weihnachten.
    Neben der Abbey Bank haben sich drei Straßenmusiker mit Tuba, Posaune und Trompete in eine Nische gestellt. Sie spielen die letzten Takte von »Joy to the World«, als Joanne auf dem Weg zum Metzger um die Ecke kommt.
    Drinnen hat sich eine Warteschlange gebildet, aber es geht zügig voran. Die Leute haben vorbestellt und ihr Geflügel schon bezahlt, sodass die meisten nur zum Abholen gekommen sind. Joanne wollte Putenbrustfilets kaufen, schließlich sind sie nur zu zweit, aber davon wollte Jackie nichts hören. »Die Keulen sind doch das Beste«, meinte sie.
    Joanne will gerade die Straße überqueren und sich auf den Heimweg machen, als sie ein Auto in eine Parklücke zurücksetzen sieht. Sie bleibt stehen, denn sie erkennt die Fahrerin. Sie kann nicht in den Wagen hineinsehen, denn das Auto ist voller Menschen, deren Atem die Scheiben beschlagen lässt, aber sie weiß, wer das ist.
    Sie tritt an den Wagen heran und klopft an die Seitenscheibe. Lisa Kallisto schaltet den Motor aus und öffnet die Fahrertür. Joanne beugt sich herunter und sieht Lisas Kinder auf der Rückbank sitzen, dicht zusammengequetscht und die Vorfreude auf Weihnachten im Gesicht.
    Joe sitzt vorne auf dem Beifahrersitz, und der Terrier, der als Beweisstück in der Rechtsmedizin war, liegt im Fußraum zwischen seinen Knien. Beide Unterschenkel von Joe sind eingegipst.
    »Hallo, Lisa«, sagt Joanne, »wie geht es Ihnen?«
    »Gut. Und Ihnen?«
    »Wunderbar, danke.« Joanne schaut an Lisa vorbei zu Joe. »Dann wurden Sie über Weihnachten aus dem Krankenhaus entlassen?«
    Joanne hat gerüchteweise gehört, Joes Taxi sei auf der Autobahn ins Schleudern geraten und im Graben gelandet. Er hat überlebt, sich aber beide Füße gebrochen.
    »Ich bin am Mittwoch
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