Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter
Autoren: Paula Daly
Vom Netzwerk:
kommt sie mit einer Magnumflasche Pinot Grigio und zwei Gläsern zurück, deren Ränder mit Lippenstift und deren Stiele mit Fingerabdrücken beschmiert sind.
    »Ich habe Ihnen ein Glas mitgebracht nur für den Fall, dass Sie es sich anders überlegen. Ich habe keinen Tee im Haus.« Sie beugt sich vor, um einzuschenken. Verwirrt sehe ich, dass ihre Brüste seltsam in die Höhe stehen, obwohl sie keinen BH trägt, und ich frage mich, ob sie eine dieser armen Frauen ist, denen unwissentlich Industriesilikon implantiert wurde. Wahrscheinlich wird sie sich die Dinger kurz nach Weihnachten herausoperieren lassen müssen.
    Mel Frain trinkt einen großen Schluck Weißwein, seufzt und lehnt sich zurück. »Verzeihen Sie. Im Moment fällt es mir schwer, den Tag zu überstehen.«
    Ich nicke, obwohl ich keine Lust habe, mir die Ehebruchsgeschichte anzuhören, die mich hier ganz offensichtlich erwartet.
    »Letzte Woche kam ich nach Hause«, sagt sie tonlos. »Mein Mann lag oben im Bett … mit meinem Vater.«
    »Oh je«, sage ich. »Was haben Sie getan?«
    »Mich übergeben.«
    »Verständlich.«
    Sie nickt.
    »Wo sind sie jetzt?«, frage ich.
    »Haben sich über Weihnachten nach Sitges an der Costa Dorada abgesetzt.«
    »Was ist mit Ihrer Mutter?«
    »Die tut so, als wäre nichts passiert.«
    Ich atme mit gespitzten Lippen aus.
    »Tut mir leid, dass ich den Hund nicht behalten kann«, sagt sie, »aber ich habe einen Vollzeitjob. Und so ein Hund braucht Auslauf, dazu habe ich keine Kraft – nicht in meiner momentanen Lage.«
    »Wir suchen ihm ein gutes Zuhause«, antworte ich und denke, dass es wahrscheinlich zwecklos ist, den Ehemann kontaktieren zu wollen. »In Ordnung«, sage ich und reiche ihr das Formular. »Unterschreiben Sie bitte ganz unten auf der gestrichelten Linie, und dann kann ich mir Diesel einmal ansehen.«
    Wir verfrachten den Hund in den Käfig auf der Ladefläche meines Kombis. Seine Krallen müssten gekürzt werden, aber abgesehen davon ist er in einem guten Zustand. Ein hübsches Tier mit glänzendem Fell. Es sieht gut aus für ihn.
    Als ich die Heckklappe schließe, fährt der Lieferwagen des Elektrikers davon, und ich sehe, dass dahinter ein zweites Auto geparkt steht. Ich drehe mich zu Mel Frain um. Sie weint ein bisschen, weil sie sich von Diesel verabschieden muss.
    »Sehen Sie das Auto da drüben?«, sage ich. »Haben Sie das schon mal gesehen?«
    »Es steht immer mal wieder da«, antwortet sie. »Das ist ein Ferienhaus. Ich glaube, das Auto gehört dem Besitzer.«
    »Wann haben Sie es zuletzt gesehen?«
    »Vor ein paar Tagen, glaube ich.«
    Wieder spüre ich dieses Kribbeln, diesen Gedanken, der sich nicht fassen lässt. Nur dass ich ihn diesmal festhalten kann.
    Ich sehe mir das Nummernschild an.
    Das Auto gehört Kate.

42
    I ch weiß nicht mehr, seit wann ich hier stehe. Es kann sich nur um Minuten handeln, fühlt sich aber viel länger an. Mel Frain ist wieder im Haus verschwunden, um noch mehr Wein zu trinken, und die Heckscheibe meines Autos beschlägt, weil Diesel hechelt. Ich öffne die Fahrertür, stecke den Schlüssel ins Zündschloss und fahre die hinteren Seitenscheiben ein paar Zentimeter herunter. Es sind schon Hunde in Autos erstickt, denke ich wohl.
    Ich kann den Blick nicht vom Haus abwenden. Von dem letzten Haus in der Reihe.
    Warum steht Kates Auto davor? Sie war doch eben noch im Krankenhaus.
    Ich gehe hin und bleibe vor der Haustür stehen. Ein seltsames Gefühl beschleicht mich. Die Ruhe vor dem Sturm. Ich könnte mich einfach umdrehen und gehen. Ich könnte in mein Auto steigen, zum Tierheim zurückfahren und so tun, als hätte ich nichts gesehen. Und der Mensch, der ich früher war, hätte sicher genau das getan. Früher bin ich jeder Konfrontation aus dem Weg gegangen und habe Autoritäten nicht hinterfragt.
    Ich will anklopfen, überlege es mir aber in letzter Sekunde anders. Ich trete ein paar Schritte nach rechts, beuge mich vor und spähe durchs Fenster ins Haus.
    Ich sehe Kate und Lucinda vor einem riesigen Pappkarton am Boden knien. Sie packen die Dekoration für den Weihnachtsbaum aus. Für einen Moment denke ich, dass Kate und Guy das Haus über Weihnachten vermieten wollen – um diese Jahreszeit kommen die Gäste nicht gern in ein ungeschmücktes Haus.
    Und dann durchflutet mich die Erleichterung, sie reißt mich fast von den Füßen. Lucinda ist wieder da. Sie ist am Leben. Ich unterdrücke ein Schluchzen. Sie ist in Sicherheit. Gott sei Dank, Lucinda ist in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher