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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer
Autoren: Ann Benson
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Zehenspitzen durch den Matsch, klopfte an die Brettertür, stand dann da, die Kutte noch immer gerafft, und wartete.
    Und wartete.
    »Wer da?«, hörte ich schließlich von drinnen.
    »Madame le Barbier?«
    Nach einer Weile wurde die Frage wiederholt, allerdings klang sie jetzt weniger gedämpft.
    Es schien mir sinnlos, auf Förmlichkeiten zu bestehen. »Hier ist Schwester Guillemette. Ich war anwesend, als Ihr gestern Abend bei Seiner Eminenz vorgesprochen habt. Ich würde mich gern mit Euch über die betreffende Angelegenheit unterhalten.«
    Von drinnen war Bewegung zu hören, dann ging die Tür auf. Madame le Barbier wirkte zerzaust, als wäre sie eben erst von ihrem Lager aufgestanden; hatte sie wirklich zu einer Zeit, da Geschäftigkeit und nicht Schlaf die Regel war, im Stroh gelegen? Es schien mir eindeutig so.
    »Was wollt Ihr?«, fragte sie, die Stimme voller Argwohn.
    »Ich würde gerne mit Euch über die Sache sprechen, die Euch gestern ins Kloster führte.«
     
    Wir bereiteten eben die Vespern vor, hatten die Kerzen in der Kathedrale aber noch nicht angezündet, als Madame le Barbier ihre Aufwartung machte – der Bischof weigert sich, im Haus Gottes eine Kerze anzuzünden, bis er kaum noch die Hand vor Augen sehen kann, mit der Begründung, dass Gott auch in der Dunkelheit alles sieht. Was für ein Unterschied zu Milord Gilles, der die Beachtung liebte und sich trotz der immensen Kosten den ganzen Abend lang in strahlendstem Licht präsentierte. Sein enormer Reichtum ermöglichte ihm diesen Leichtsinn, ein Wesenszug, welcher mir allerdings sehr missfiel. Auch als er schon ein erwachsener Mann war, nutzte ich jede Gelegenheit, ihn wegen dieser Verschwendung zu tadeln. Doch er tat dies immer mit einem liebevollen Lächeln ab. Er hatte eine merkwürdige Zuneigung zum einfachen Volk, zu dem auch ich gehöre, doch das war kein Wunder, kam er doch auf die Welt und wurde sogleich in gemeine Hände gegeben, die meinen nämlich. Milady Marie konnte nicht mehr an sich halten, man hatte die Hebamme zu spät gerufen. Wäre ich nicht da gewesen, um ihn aufzufangen, wäre sein Eintritt in diese Welt wohl viel weniger würdevoll gewesen, als es sich für ein Neugeborenes ziemt, dem später einmal mehr von Frankreich und der Bretagne gehören sollte als deren Herrscher.
    Es war eine so schwierige Geburt, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Als die Hebamme schließlich eintraf, hatte sie alle Hände voll zu tun, um die arme, erschöpfte Mutter wieder hochzupäppeln. Dennoch sah er so vollkommen aus, wie man es bei einem Neugeborenen nur hoffen konnte, das Bindeglied zweier mächtiger Familien, deren Reichtum und Besitztümer schon damals unvorstellbar groß waren.
    Mein Gesicht war das erste, in das er schaute, und meine Brustwarze die erste, um die sein hungriger kleiner Mund sich schloss. Ich weiß noch gut, dass ich dachte, wie dunkel und tief seine Augen doch sind, und wenn die Natur ihren Lauf nähme, würde aus ihm ein so hübscher Junge werden, wie es seiner glücklichen Stellung entsprach. Das waren Tage der Freude und großer Versprechungen.
    Madame Agathe le Barbier, hatte Frère Demien sie angekündigt.
    Ich hatte mich augenblicklich an eine kräftige Frau mit wachem Verstand erinnert. Doch die Frau, die eintrat, war klein im Vergleich zu meiner Erinnerung und alles andere als kräftig. Sie trug ein zerlumptes Gewand, was ziemlich unverständlich war für eine früher wohlhabende Geschäftsfrau. Unter den bauschigen Falten ihres Rocks bestand sie nur aus Haut und Knochen.
    Wenn ich ein Kind an meiner Brust hatte – viele Jahre lang, so scheint es mir, da ich sowohl meine beiden eigenen Kinder wie Milord Gilles säugte –, konnte ich kein Gramm Fleisch auf den Knochen behalten, so sehr zehrte es mich aus. Meine Hüften schienen einfach wegzuschmelzen, und meine Röcke hätte ich wohl nachgeschleift, hätte ich sie nicht immer wieder enger zusammengebunden. Etienne schaffte es, mich mit Bier ein wenig zu polstern, Gott sei seiner Seele gnädig – er hatte mich gern üppig. Aber Madame le Barbier schien nicht mehr in einem Alter zu sein, in dem sie noch Kinder säugte.
    Ich musste mich einfach zu Wort melden. Euer Eminenz, gestattet mir zu sprechen, bevor wir fortfahren.
    Sogleich sah ich an seiner prächtigen Braue, die ganz sicher der Sitz seiner Macht war, seine Missbilligung. So markante Züge waren bei einem Kleriker die reinste Verschwendung – er hätte ein Höfling werden sollen.
    Diese Frau ist mir
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