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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer
Autoren: Ann Benson
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und Bäcker, die alle ihre Waren verkauften, der Frauen, die um günstige Preise feilschten, und der vereinzelten Huren, die ich geflissentlich zu übersehen hatte. Man konnte durch Schlamm stapfen, um einen Riegel Seife zu kaufen, mit der man später diesen Schlamm vom Saum der Kutte oder des Gewandes entfernen konnte, eine sinnlose und um sich selbst kreisende Reise, die jedoch alle Frauen bis auf die des Adels irgendwann in ihrem Leben tun mussten. Die Frauen klatschten dann unter offenen Fenstern oder an Marktständen, die sie bevorzugten, oder – was am wahrscheinlichsten war – am Dorfbrunnen. Eine solch angenehme Vertrautheit weckte in mir stets die Sehnsucht nach den vergangenen Tagen, als ich noch etwas über mich selbst zu berichten hatte: über meinen Gatten, meine Söhne – und auch über die Intrigen im Schloss.
    Ich schalt mich für diese Verblendung. Nach so vielen Jahren in der Abgeschiedenheit hatte ich diese Art von Geselligkeit nicht mehr in mir. Unvermittelt blieb ich in dem hohen Gras stehen. Da kein Mensch in der Nähe war, nahm ich den Schleier ab und zog die Nadel aus den Haaren; sie fielen mir in Wellen von der Farbe von Sturmwolken über den Rücken. Ich legte den Kopf zurück, schloss die Augen und schüttelte sie.
    Ach, Guillemette, hatte mein Gatte so oft gesagt, deine Haare … sie bringen die Vögel zum Singen.
    Als ich die Augen öffnete, sah ich keine Singvögel, sondern einen Falken, der über meinem Kopf kreiste. Er stürzte herab, um eine glücklose Maus zu verfolgen, die keine Ahnung hatte von ihrer bevorstehenden Begegnung mit einem Schnabel. Wie Etienne es hatte ertragen können, eine so kalte Kreatur wie einen Falken auf seinem Arm zu haben, verstand ich nicht, doch da Milord Gilles sich immer mehr der Falkenjagd verschrieb, oblag es Etienne, ihn mit den wesentlichen Voraussetzungen für die Falknerei vertraut zu machen.
    Es war allzu einfach, in solchen Erinnerungen zu schwelgen, wenn Gottes Haube nicht meinen Kopf bedeckte. Auch wenn die Barhäuptigkeit wohltuend war, setzte ich doch den Schleier sogleich wieder auf und ordnete mein Gewand. Alle Gedanken an Milords Gelüste wurden verbannt, und ich hielt schnurstracks aufs Dorf zu. Das erwartete Treiben war überall zu sehen, denn Ostern stand bevor, und es gab viel vorzubereiten. Ich sprach den ersten freundlich aussehenden Mann an, der mir begegnete, und wünschte ihm einen guten Tag.
    »Auch Euch einen guten Tag, Mutter«, erwiderte er recht höflich.
    »Ich suche eine gewisse Madame le Barbier, eine Schneiderin aus dem Kirchspiel Saint-Honoré. Könntet Ihr mir wohl bitte sagen, wo ich sie finde?«
    Der Mann wurde fast augenblicklich rot, und er machte ein Gesicht, dass ich fast erwartete, er würde sich bekreuzigen.
    »Da hinten«, sagte er nach einem bedeutungsschweren Schweigen. Er zeigte nach Osten, und ich musste die Augen beschirmen, um etwas zu sehen, so hell schien die Sonne. »Geht am Brunnen vorbei und dann links zwischen den ersten beiden Hütten hindurch. Direkt dahinter ist eine Rundhütte. Dort wohnt sie«, sagte er.
    Ich nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte, und wollte ihm danken, doch er unterbrach mich.
    »Möge Gott sie behüten«, sagte er, »und Euch.«
    Er eilte davon. Ich hatte die Hand erhoben und den Mund geöffnet; wirre Wort des Dankes und der Bestürzung quollen heraus. Aber er bekam wohl nichts davon mit, denn er murmelte verstört etwas, das fast wie ein Lied klang.
    Etwas über kleine Kinder …
    Ich wollte ihn noch mehr fragen und machte einen halbherzigen Versuch, ihn zurückzurufen, aber da ich seinen Namen nicht kannte, war er dafür schon zu weit weg. Hätte ich ihn »mein Herr« gerufen, hätten wohl ein Dutzend Leute die Köpfe zu mir umgedreht, und ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen.
    Seine Wegbeschreibung war präzise. Madames Rundhaus teilte sich einen gemeinsamen Hof mit zwei anderen, beides Langhäuser, die sowohl Mensch wie Tier beherbergten. Madame le Barbiers Gewerbe konnte für bürgerliche Verhältnisse recht einträglich sein, und früher hatte sie es sich wahrscheinlich leisten können, keine Tiere im Haus zu haben. Die Frau, die ich aus einer Zeit vor vielen Jahren in Erinnerung hatte, wäre stolz auf ihren Wohlstand gewesen.
    Doch heute hatte sie denselben Schlamm in ihrem Hof wie jeder Bewohner des Dorfes außerhalb von Machecoul, er war eine allgegenwärtige Belästigung, vor allem zu dieser Zeit im Frühling. Ich hob meine Röcke und stakste auf
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