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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur
Autoren: Irvin D. Yalom
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universellen Willen zum Leben, der du bist – kindisch und überaus lächerlich erscheinen würde. Ref 152
    Thrasymachos: Kindisch und überaus lächerlich bist du selbst und alle Philosophen; und es geschieht bloß zum Spaß und Zeitvertreib, wenn ein gesetzter Mann wie ich mit dieser Art von Narren sich auf ein Viertelstündchen
einläßt. Habe jetzt wichtigere Dinge vor: Gott befohlen !«
    Schopenhauer hatte eine weitere Methode, seine Angst vorm Tod in Schach zu halten: Sie ist dort am geringsten, wo die Selbstverwirklichung am größten ist. Mag seine auf universeller Einheit basierende Position manchen schwach erscheinen, so besteht kaum Zweifel an der Unanfechtbarkeit der letzteren. Kliniker, die mit sterbenden Patienten arbeiten, haben beobachtet, dass die Todesangst bei denen stärker ist, die das Gefühl haben, ein unerfülltes Leben geführt zu haben. Das Gefühl von Erfüllung mindert diese Angst.
    Und Schopenhauer selbst? Lebte er richtig und sinnvoll? Erfüllte er seine Mission? Daran hatte er absolut keinen Zweifel. Man betrachte seinen letzten Eintrag in seinen autobiografischen Notizen:
    Ich habe immer gehofft, leicht zu sterben; denn wer ein Leben lang einsam gewesen ist, wird sich auf dieses solitaire Geshäft besser verstehen als Andere. Statt unter den auf die ärmliche Capacität der bipedes berechneten Alfanzereien, werde ich im freudigen Bewußtsein endigen, dahin zurückzukehren, . . . und meine Mission vollbracht zu haben. Ref 153
    Und dieselbe Haltung – Stolz darauf, seinen eigenen kreativen Weg verfolgt zu haben – drückt sich in einem kurzen Vers aus, seinem Finale als Autor, den allerletzten Zeilen seines letzten Buches:
    »Ermüdet steh’ ich jetzt am Ziel der Bahn,
Das matte Haupt kann kaum den Lorbeer tragen:
Doch blick’ ich froh auf das, was ich getan,
Stets unbeirrt durch das, was andre sagen.« Ref 154
    Als dieses letzte Buch, Parerga und Paralipomena, erschien, sagte er: »Ich bin unglaublich dankbar, die Geburt meines letzten Kindes zu erleben. Ich fühle mich, als sei mir eine schwere Last von den Schultern gefallen, die ich seit meinem vierundzwanzigsten Lebensjahre getragen habe. Kein Mensch kann sich vorstellen, was dies bedeutet.«
    Am Morgen des 21. September 1860 bereitete Schopenhauers Haushälterin ihm das Frühstück zu, putzte die Küche, öffnete die Fenster und ließ Schopenhauer, der sich bereits kalt gewaschen hatte und jetzt in seinem Wohnzimmer, einem großen, luftigen, einfach möblierten Raum, auf dem Sofa saß und las, allein, um Besorgungen zu machen. Neben dem Sofa lag ein schwarzes Bärenfell, auf dem Atma, sein geliebter Pudel, hockte. Ein großes Ölgemälde von Goethe hing direkt über dem Sofa, und mehrere Bilder von Hunden, Porträts von Shakespeare und Claudius und Daguerreotypien von ihm selbst waren anderswo im Zimmer aufgehängt. Auf dem Schreibtisch stand eine Büste von Kant. Auf einem Ecktisch befand sich eine Büste von Christoph Martin Wieland, dem Dichter, der den jungen Schopenhauer ermutigt hatte, Philosophie zu studieren, in einer anderen Ecke die vergoldete Statue des von ihm verehrten Buddha.
    Kurze Zeit später betrat sein Arzt, der regelmäßig nach ihm schaute, den Raum und fand ihn dort in eine Sofaecke gelehnt vor. Ein Lungenschlag hatte seinem Leben ein schmerzloses Ende beschert. Sein Gesicht war nicht verzerrt und zeigte keine Anzeichen für einen Todeskampf.
    Seine Beisetzung an einem Regentag war unangenehmer als die meisten Beerdigungen, was an dem Gestank nach verwesendem Fleisch in der kleinen, geschlossenen Leichenhalle lag. Schopenhauer hatte explizit verfügt, sein Leichnam solle nicht sofort beerdigt, sondern mindestens fünf Tage lang auf dem Friedhof bleiben, bis die Verwesung einsetzte – vielleicht eine letzte Geste der Menschenfeindlichkeit oder aus Angst vor einem Scheintod. Bald war es in der Leichenhalle so stickig und
die Luft so schlecht, dass einige der Versammelten den Raum verlassen mussten, während Wilhelm Gwinner, sein Testamentsvollstrecker, einen langen, schwülstigen Nachruf vortrug, der mit folgenden Worten begann:
    »Dieser Mann, der ein Menschenalter hindurch in unserer Mitte lebte und gleichwohl ein Fremdling unter uns blieb, fordert seltene Gefühle heraus. Keiner steht hier, der ihm durch die innigen Bande des Bluts angehört; einsam, wie er gelebt, ist er gestorben.« Ref 155
    Schopenhauers Grab wurde mit einem schweren Stein aus belgischem Granit bedeckt. Auf Wunsch des
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