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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur
Autoren: Irvin D. Yalom
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allseitigem angestrengtem Nicken als Bestätigung für Philip fuhr Julius fort: »Aber wenn Sie als Berater tätig sein wollen, müssen Sie in die Welt des Sozialen eintreten. Ich möchte Sie daran erinnern, dass viele, ich wette sogar, die meisten von denen, die Sie in Ihrer Praxis konsultieren, Hilfe in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen brauchen, und wenn Sie Ihren Lebensunterhalt als Therapeut verdienen wollen, müssen Sie sich in diesen Angelegenheiten auskennen – eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Schauen Sie sich doch in dieser Gruppe um: Alle sind wegen Beziehungskonflikten eingetreten. Pam kam auf Grund von Problemen mit den Männern in ihrem Leben, Rebecca wegen der Art und Weise, in der ihr Aussehen ihr Verhältnis zu anderen beeinflusst, Tony wegen seiner destruktiven Beziehung zu Lizzy und seiner häufigen Prügeleien mit Männern, und so weiter.«
    Julius zögerte und beschloss dann, alle Mitglieder einzuschließen. »Gill trat wegen ehelicher Konflikte ein, Stuart, weil seine Frau drohte, ihn zu verlassen, Bonnie wegen ihrer Einsamkeit und den Problemen mit ihrer Tochter und ihrem Ex-Ehemann. Sie sehen, was ich meine: Beziehungen kann man nicht ignorieren. Und vergessen Sie nicht, das ist genau der Grund dafür, dass ich darauf bestanden habe, dass Sie der Gruppe beitreten, ehe ich Sie supervisiere.«
    »Vielleicht bin ich ein hoffnungsloser Fall. Auf meiner Liste mit Beziehungen, früheren und gegenwärtigen, steht niemand. Keine Angehörigen, keine Freunde, keine Geliebten. Ich schätze meine Einsamkeit, aber ihr Ausmaß würde Sie, glaube ich, entsetzen.«
    »Ein paar Mal«, sagte Tony, »habe ich Sie nach der Sitzung gefragt, ob wir nicht zusammen einen Happen essen wollen. Sie haben immer abgelehnt, und ich nahm an, Sie hätten andere Pläne.«
    »Ich habe seit zwölf Jahren keine Mahlzeit mit jemandem
eingenommen. Vielleicht ein gelegentliches Sandwich zum Mittagessen, aber keine richtige Mahlzeit. Sie haben Recht, Julius, Epikur würde sagen, ich führe das Leben eines Wolfs. Nach dem Treffen vor ein paar Wochen, als ich so aufgewühlt war, ging mir unter anderem immer wieder der Gedanke im Kopf herum, dass das geistige Gebäude, das ich mir für mein Leben errichtet habe, unbeheizt ist. Hier in der Gruppe ist es warm. Dieser Raum ist warm, meine Behausung dagegen ist eiskalt. Und was die Liebe angeht, so ist sie mir absolut fremd.«
    »All die Frauen, Hunderte, haben Sie uns erzählt«, sagte Tony, »da muss doch auch Liebe im Spiel gewesen sein. Sie müssen welche empfunden haben. Und einige der Frauen müssen Sie geliebt haben.«
    »Das ist lange her. Falls eine von ihnen mich liebte, bin ich ihr aus dem Weg gegangen. Und auch wenn sie Liebe empfanden, war es keine Liebe zu mir, zu meinem wahren Ich – es war Liebe zu dem, was ich ihnen vorspielte, zu meiner Geschicklichkeit.«
    »Was ist denn Ihr wahres Ich?«, fragte Julius.
    Philips Stimme wurde todernst. »Entsinnen Sie sich, was für einen Beruf ich hatte, als wir uns kennen lernten? Ich war Kammerjäger – ein cleverer Chemiker, der Methoden erfand, Insekten zu töten oder sie unfruchtbar zu machen. Ist das nicht ein guter Witz? Der Mörder mit dem Hormongewehr.«
    »Ihr wahres Ich ist also ...?«, drängte Julius.
    Philip schaute Julius direkt in die Augen. »Ein Ungeheuer. Ein Raubtier. Einsam. Ein Insektenvernichter.« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Voll blinder Wut. Ein Unberührbarer. Niemand, der mich kennt, hat mich je geliebt. Nie. Keiner konnte mich lieben.«
    Plötzlich stand Pam auf und ging auf Philip zu. Sie bedeutete Tony, den Platz mit ihr zu tauschen, setzte sich neben Philip, nahm seine Hand und sagte mit weicher Stimme: »Ich hätte Sie lieben können, Philip. Sie waren der schönste, der großartigste
Mann, den ich je gesehen hatte. Wochenlang rief ich Sie an und schrieb Ihnen, nachdem Sie sich nicht mehr mit mir treffen wollten, aber Sie beschmutzten –«
    »Pscht.« Julius streckte die Hand aus und berührte Pams Schulter, um sie zum Schweigen zu bringen. »Nein, Pam, nicht in die Richtung. Bleiben Sie beim ersten Teil, sagen Sie den noch mal.«
    »Ich hätte Sie lieben können.«
    »Und Sie waren der . . .«, soufflierte Julius.
    »Und Sie waren der schönste Mann, den ich je gesehen hatte.«
    »Noch mal«, flüsterte Julius.
    Pam hielt immer noch Philips Hand, sah seine Tränen ungehindert fließen und wiederholte: »Ich hätte Sie lieben können, Philip. Sie waren der schönste Mann .
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