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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur
Autoren: Irvin D. Yalom
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dem Entzücken der Wollust, dieses in der Zerstörung aller Organe und dem Moderdufte der Leichen! Auch geht der Weg zwischen beiden in Hinsicht auf Wohlsein und Lebensgenuß stetig bergab: die selig träumende Kindheit, die fröhliche Jugend, das mühselige Mannesalter, das gebrechliche, oft jämmerliche Greisentum, die Marter der letzten Krankheit und endlich der Todeskampf – sieht es nicht geradezu aus, als wäre das Dasein ein Fehltritt, dessen Folgen allmälig und immer mehr offenbar würden?« Ref 148
    Fürchtete er seinen eigenen Tod? In seinen späteren Jahren äußerte er eine große Gelassenheit beim Gedanken ans Sterben. Woher kam diese Ruhe? Wenn die Angst vor dem Tod allgegenwärtig ist, wenn sie uns unser Leben lang verfolgt, wenn der Tod so Furcht erregend ist, dass eine riesige Anzahl von
Religionen entstand, um sie zu bannen, wie konnte der einsame und säkular gesinnte Schopenhauer dann das eigene Entsetzen davor in Schach halten?
    Seine Methoden beruhten auf einer verstandesmäßigen Analyse der Quellen von Todesangst. Fürchten wir den Tod, weil er fremd und unbekannt ist? Falls ja, so behauptet er, irren wir uns, weil der Tod uns vertrauter ist, als wir im Allgemeinen annehmen. Nicht nur bekommen wir allnächtlich im Schlaf oder im Zustand der Bewusstlosigkeit einen Vorgeschmack auf den Tod, sondern wir haben vor unserer Zeugung alle schon eine Ewigkeit des Nichtseins durchgemacht.
    Fürchten wir den Tod, weil er schlecht oder böse ist? (Man betrachte nur die schauerliche Ikonografie, die den Tod normalerweise bebildert.) Auch hier, darauf besteht er, täuschen wir uns: »(Es ist) absurd, das Nichtsein für ein Übel zu halten; da jedes Übel wie jedes Gut das Dasein zur Voraussetzung hat, ja sogar das Bewußtsein.« Und er fordert uns auf, nicht zu vergessen, dass Leben Leiden bedeutet, dass es an sich schlecht ist. Wenn dem so sei, wie könne dann der Verlust von etwas Schlechtem schlecht sein? Der Tod, so sagt er, solle als ein Segen betrachtet werden, als eine Erlösung von der unerbittlichen Qual der Zweifüßler-Existenz. »Wir sollen unserm eigenen Tode entgegensehen als einer erwünschten und erfreulichen Begebenheit – statt, wie es meistens geschieht, mit Zagen und Grausen.« Das Leben müsse dafür geschmäht werden, dass es unser seliges Nichtsein stört, und in diesem Zusammenhang stellt er seine kontroverse Behauptung auf: »Klopfte man an die Gräber und fragte die Toten, ob sie wieder aufstehn wollten; sie würden mit den Köpfen schütteln.« Er zitiert ähnliche Äußerungen von Platon, Sokrates und Voltaire. Ref 149 Ref 150 Ref 151
    Neben seinen rationalen Argumenten führt Schopenhauer eines an, das an Mystizismus grenzt. Er kokettiert mit einer bestimmten Form der Unsterblichkeit, vermählt sich jedoch nicht mit ihr. Seiner Ansicht nach ist unser inneres Wesen unzerstörbar, weil wir lediglich eine Manifestation der Lebenskraft
seien, des Willens, des Dings an sich, das ewig fortbesteht. Daher sei der Tod keine echte Auslöschung; wenn unser unbedeutendes Leben vorüber sei, verbänden wir uns mit jener ursprünglichen Lebenskraft, die außerhalb der Zeit liegt.
    Diese Vorstellung beschwichtigte Schopenhauer und zahlreiche seiner Leser (zum Beispiel Thomas Mann und seinen fiktiven Thomas Buddenbrook), aber da zu ihr kein weiterhin existierendes persönliches Selbst gehört, finden viele darin nur wenig Trost. (Sogar der Trost, den sie Thomas Buddenbrook bietet, ist kurzfristig und verfliegt wenige Seiten später.) Ein Dialog zwischen zwei hellenistischen Philosophen, den Schopenhauer erfand, wirft die Frage auf, wie tröstlich dieser Glaube nun wirklich für Schopenhauer war. In diesem Gespräch versucht Philalethes Thrasymachos (Skeptiker durch und durch) davon zu überzeugen, dass der Tod wegen des unzerstörbaren Wesens des Individuums keinen Schrecken berge. Beide Philosophen argumentieren so scharfsinnig und eindringlich, dass der Leser nicht mit Sicherheit weiß, wo die Sympathien des Verfassers liegen. Am Ende ist der Skeptiker Thrasymachos immer noch nicht überzeugt und erhält das letzte Wort.
    »Philalethes: Was da ruft: ›Ich, ich, ich will dasein‹, das bist du nicht allein, sondern alles, durchaus alles, was nur eine Spur von Bewußtsein hat. Folglich ist dieser Wunsch in dir gerade das, was nicht individuell ist. (. . .) Laß daher eine Sorge fahren, welche dir wahrlich, wenn du dein eigenes Wesen ganz und bis auf den Grund erkenntest, nämlich als den
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