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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur
Autoren: Irvin D. Yalom
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Verstorbenen stand nur sein Name, Arthur Schopenhauer, darauf – »schlechterdings nichts weiter, kein Datum, noch Jahreszahl, gar nichts, keine Sylbe«.
    Der Mann, der unter diesem bescheidenen Grabstein ruhte, wollte, dass sein Werk für ihn sprach.

»Die Menschheit hat von mir etwas gelernt,
was sie nie vergessen wird.« Ref 156
42
Drei Jahre später
    Die spätnachmittägliche Sonne schien durch das große, offene Schiebefenster des Café Florio. Der uralten Jukebox entströmten Arien aus dem Barbier von Sevilla, begleitet vom Zischen einer Espressomaschine, die Milch für Cappuccinos aufschäumte.
    Pam, Philip und Tony saßen an demselben Fenstertisch, an dem sie seit Julius’ Tod allwöchentlich Kaffee tranken. Im ersten Jahr waren noch andere aus der Gruppe mitgekommen, aber seit zwei Jahren trafen sie sich nur noch zu dritt. Philip unterbrach ihr Gespräch, um einer Arie zu lauschen und sie mitzusummen. »›Una voce poco fa‹, eins meiner Lieblingslieder«, sagte er, als sie ihre Unterhaltung wieder aufnahmen. Tony zeigte ihnen sein Zertifikat der Abendschule seines College. Philip verkündete, er spiele jetzt zwei Abende pro Woche im San Francisco Chess Club Schach – zum ersten Mal seit dem Tod seines Vaters saß er seinen Gegnern wieder persönlich gegenüber. Pam sprach von der unkomplizierten Beziehung mit ihrem Neuen, einem Milton-Experten, und von ihren sonntäglichen Besuchen buddhistischer Andachten im Zen-Zentrum Green Gulch in Marin County.
    Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Bald Zeit für euren Auftritt.« Sie musterte die zwei. »Gut seht ihr aus, ihr beiden, nur,
Philip, diese Jacke«, sie schüttelte den Kopf, »die muss weg – total uncool – Kord ist out, seit zwanzig Jahren passé, und diese Ellenbogenflicken ebenso. Nächste Woche gehen wir einkaufen.« Sie sah ihnen ins Gesicht. »Ihr werdet euch bestens schlagen. Wenn du nervös wirst, Philip, denk an die Sessel. Vergiss nicht, dass Julius euch liebte. Genau wie ich.« Sie drückte beiden einen Kuss auf die Stirn, legte einen Zwanzig-Dollar-Schein auf den Tisch und sagte: »Besonderer Tag heute. Das geht auf mich.«
    Eine Stunde später traten sieben Klienten zu ihrer ersten Gruppensitzung in Philips Praxis und setzten sich argwöhnisch in Julius’ Sessel. Philip hatte als Erwachsener zweimal geweint: einmal bei jenem letzten Treffen von Julius’ Therapiegruppe und noch einmal, als er erfuhr, dass Julius ihm diese neun Sessel vermacht hatte.
    »Also«, begann Philip, »willkommen in unserer Gruppe. Wir haben versucht, jedem einzelnen von Ihnen bei der Einführungssitzung Orientierungshilfe über unser Vorgehen zu geben. Jetzt ist es an der Zeit anzufangen.«
    »Damit hat sich’s? Einfach so? Keine weiteren Instruktionen ?«, fragte Jason, ein kleiner, drahtiger Mann mittleren Alters in einem engen schwarzen Nike-T-Shirt.
    »Ich weiß noch, wie verängstigt ich bei meiner ersten Gruppentherapiesitzung war«, sagte Tony und beugte sich in seinem Sessel vor. Er trug ein adrettes weißes, kurzärmeliges Hemd, Khakihosen und braune Slipper.
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich Angst habe«, erwiderte Jason. »Ich registriere nur den Mangel an Anleitung.«
    »Also, was würde Sie denn in Gang bringen?«, fragte Tony.
    »Info. Ohne die dreht sich die Welt doch nicht mehr. Das hier soll ja eine philosophische Beratungsgruppe sein – sind Sie beide Philosophen?«
    »Ich bin Philosoph«, sagte Philip, »mit einem Doktortitel von der Columbia, und Tony, der die Gruppe mit mir leitet, studiert psychosoziale Beratung.«

    »Er ist Student? Das kapiere ich nicht. Wie wollen Sie beide denn zusammenarbeiten?«, schoss Jason zurück.
    »Philip«, antwortete Tony, »wird Hilfreiches aus der Philosophie beisteuern, und ich, na ja, ich bin hier, um zu lernen und einzuspringen, so gut ich kann – ich bin eher Experte in Sachen emotionaler Zugänglichkeit. Stimmt’s, Partner?«
    Philip nickte.
    »Emotionale Zugänglichkeit? Muss ich verstehen, was das bedeutet?«, fragte Jason.
    »Jason«, unterbrach ihn eine Teilnehmerin, »ich heiße Marsha, und ich möchte Sie darauf hinweisen, dass dies so ungefähr die fünfte kritische Bemerkung ist, die Sie in den ersten fünf Minuten der Sitzung gemacht haben.«
    »Na und?«
    »Und Sie sind genau der exhibitionistische Macho-Typ, mit dem ich große Probleme habe.«
    »Und Sie sind genau die Art Zimperliese, die mir tierisch auf den Wecker geht.«
    »Moment, Moment, machen wir an dieser Stelle mal kurz
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