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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur
Autoren: Irvin D. Yalom
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allem von seiner das Leben preisenden Aufforderung, wir sollten es so führen, dass wir ja sagen würden, wenn man uns anbieten würde, es auf genau dieselbe Weise immer wieder zu leben.«
    »Wie konnte Sie das erleichtern?«, fragte Philip.

    »Ich schaute auf mein Leben zurück und hatte das Gefühl, es richtig gelebt zu haben – kein Bedauern über innere Vorgänge, obwohl mir natürlich die äußeren Ereignisse zuwider waren, die mir meine Frau nahmen. Das half mir, mich zu entscheiden, wie ich meine restlichen Tage verbringen wollte: Ich würde genau mit dem fortfahren, was mir immer Befriedigung verschafft und Sinn gestiftet hatte.«
    »Das mit Ihnen und Nietzsche wusste ich nicht, Julius«, sagte Pam. »Da fühle ich mich Ihnen gleich noch näher, denn der Zarathustra, so melodramatisch er auch ist, gehört nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsbüchern. Und ich nenne Ihnen mein Lieblingszitat daraus. Es ist die Stelle, an der Zarathustra sagt: › War das das Leben? Nun denn, noch einmal!‹. Ich liebe Menschen, die das Leben genießen, und fühle mich abgestoßen von denen, die davor zurückschrecken – ich denke da an Vijay in Indien. Wenn ich das nächste Mal eine Anzeige aufgebe, stelle ich vielleicht das Nietzsche-Zitat und Schopenhauers Friedhofszitat nebeneinander und bitte die, die darauf antworten, zwischen ihnen auszuwählen. Das würde schon mal die Spreu vom Weizen trennen.
    »Ich habe noch einen Gedanken, den ich mit Ihnen teilen möchte.« Pam wandte sich an Philip. »Es ist ja wohl klar, dass ich nach der letzten Sitzung viel über Sie nachgedacht habe. Ich gebe gerade einen Kurs über Biografien, und bei meiner Vorlesung in der vorigen Woche stieß ich auf eine erstaunliche Passage in Erik Eriksons Biografie über Martin Luther. Sie geht ungefähr so: › Luther erhob seine eigene Neurose zu der des universalen Patienten und versuchte dann, für die Welt das zu lösen, was er für sich selbst nicht lösen konnte.‹ Ich glaube, dass Schopenhauer ernsthaft demselben Irrtum verfiel wie Luther und dass Sie seinem Beispiel folgen.«
    »Vielleicht«, erwiderte Philip versöhnlich, »braucht man für die Neurose, die ja ein soziales Konstrukt ist, eine andere Art von Therapie und verschiedene Philosophien für verschiedene Temperamente – einen Ansatz für die, die Nähe zu anderen anstreben,
und einen anderen für die, die sich für ein Leben des Geistes entscheiden. Bedenken Sie doch, wie viele sich etwa von buddhistischen Meditationszentren angesprochen fühlen.«
    »Das erinnert mich an etwas, das ich Ihnen noch sagen wollte«, sagte Bonnie. »Ich glaube, Sie liegen mit Ihrer Meinung über den Buddhismus ein bisschen daneben. Ich bin in buddhistischen Zentren gewesen, wo man sich auf das Außen konzentrierte  – auf liebevolle Güte und Verbundenheit – und nicht auf Abgeschiedenheit. Ein guter Buddhist kann aktiv in der Welt sein, sogar politisch aktiv – alles im Dienste an anderen.«
    »Es wird also immer klarer«, sagte Julius, »dass Ihre Selektionsfehler menschliche Beziehungen betreffen. Um Ihnen noch ein Beispiel zu nennen: Sie zitieren die Ansichten mehrerer Philosophen über den Tod oder die Einsamkeit, sprechen aber nie davon, was dieselben Philosophen – und ich denke da an die Griechen – über die Freuden der philia, der Freundschaft, sagen. Ich erinnere mich, dass einer meiner eigenen Supervisoren einmal eine Passage von Epikur zitierte, in der stand, Freundschaft sei der wichtigste Bestandteil eines glücklichen Lebens, und ohne einen guten Freund zu speisen, heiße, das Leben eines Löwen oder Wolfs zu führen. Und Aristoteles’ Definition eines Freundes – jemand, der das Bessere und Gesündere im andern befördert – kommt meiner Vorstellung vom idealen Therapeuten nahe.«
    Dann fragte er: »Wie geht es Ihnen heute, Philip? Muten wir Ihnen zu viel auf einmal zu?«
    »Ich bin versucht, mich zu verteidigen, indem ich darauf hinweise, dass keiner der großen Philosophen je geheiratet hat, bis auf Montaigne, der so wenig Interesse an seiner Familie hatte, dass er nicht einmal genau wusste, wie viele Kinder er hatte. Aber bei nur noch einem Treffen, was soll’s? Es ist schwierig, konstruktiv mitzumachen, wenn meine ganze Laufbahn, alles, was ich als Berater plane, auf dem Spiel steht.«
    »Das ist nicht ganz richtig. Es gibt sehr viel, was Sie beisteuern
können, was Sie den Mitgliedern hier geboten haben. Stimmt’s?« Julius musterte die Gruppe.
    Nach
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