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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Autoren: Adam Soboczynski
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hat. Das letzte Mal, als ich Sabine getroffen hatte, war es
     so dunkel gewesen, dass man sich in der Kneipe, die wir aufgesucht hatten, betasten musste, um sich zu erkennen. Damals, dachte
     ich, war ich kaum zu sehen gewesen. Jetzt saß ich wie ausgezogen vor ihr.
    Hatte ich zugenommen seither?, fragte ich mich. Nur ein bisschen, sagte ich mir. Unmerklich. Das kommt vom bewegungsfeindlichen
     Schreiben. Wunderte sie sich über meine Augenringe, die, wie ich noch heute denke, vom schadhaften Sich-Hineinbohren in die
     Dinge herrühren? Ausgerechnet die vergangene Nacht hatte ich noch arg spät an einem Porträt über einen Soziologen gesessen,
     der über die gesellschaftliche Rolle des Alkohols forschte, ein mir aus mancherlei Gründen interessanter Gegenstand. Der Artikel
     ging mir gar nicht gut von der Hand. Ganz spät hatte ich noch an dem Artikel gesessen, panisch die schlimmsten Schlampigkeiten
     darin entdeckt, durch Umstellen einiger Passagen hektisch ihn noch zu retten versucht usw., und dann sehr schlecht und kurz
     geschlafen. |224| Wie vernichtet, dachte ich, sitze ich vor Sabine, während sie die Zeit, wie mir schien, unberührt gelassen hat, abgesehen
     von den ganz feinen Fältchen, vor allem an den Mundwinkeln.
    Früher hätte mich Sabine nur an der Stimme erkannt oder durch Betasten, was ja ein übliches Verfahren war, um sich zu vergewissern,
     wer vor einem saß. Jetzt, sagte ich mir, ist, damit es nicht einmal mehr Rückzugsräume gibt, damit man sich gar nicht mehr
     verstecken kann, auch noch alles gläsern geworden. Wir saßen natürlich an einer gläsernen Fensterfront des Cafés, die das
     Innere vom Äußeren nur unmerklich trennte. Passanten blickten uns wie etwas unspektakuläre Zootiere beiläufig an. Dieses Café
     ist gläsern, dachte ich, die Hochhäuser sind gläsern, die Bürotüren in den Hochhäusern sind gläsern, das Parlament hat eine
     durchsichtige Kuppel. Restlos demokratisiert, dachte ich noch, sind die Räume, die keine Deckung mehr bieten vor dem Blick
     des Nächstbesten.
    Es muss etwa ein Jahr nach dem Treffen in dem unwirklich grell ausgeleuchteten Lokal gewesen sein (in das überdies noch die
     Sonne hineinschien), dass ich in einem Buch las, wie stark doch einst der Widerstand gegen das künstliche Licht gewesen war.
     Die Straßenlaternen, als sie der absolutistische Herrscher einst mit Seilen zwischen die Häuser hängen ließ, wurden mit Steinen
     beworfen. Finster waren die Nächte zuvor gewesen, nur kleine Lampen an den Häusern hatten den Wächtern der Stadt etwas Orientierung
     geboten. Der Fürst erleuchtete sie mit einem Mal, es strahlte der Sonnenkönig noch zur Schlafenszeit auf sein Volk herab,
     sein Blick drang noch in die letzten Nischen, was man sich nicht bieten ließ. |225| In den ersten Revolutionswochen hängte man seine Anhänger dann wie selbstverständlich an jene Vorrichtungen, an denen zuvor
     die Laternen der Macht hingen. Und auch in den späteren Straßenkämpfen des 19. Jahrhunderts war die Laternenzerstörung beliebt.
     Sie war das Pendant zum Barrikadenbau aus Pflastersteinen: Wo dem Gegner nicht der Weg versperrt wurde, da nahm man ihm die
     Sicht. Der Kampf gegen das künstliche Licht war ein Kampf gegen die Kontrolle des Herrschers, gegen die Erspähung des Körpers,
     gegen die Enttarnung des Partisanen.
    Das künstliche Licht ist erbarmungslos und eindeutig: Jede Falte wird sichtbar, Ringe unter den Augen, die ungesunde Blässe
     des Kranken, die Adern des Säufers. Hervorragend geeignet für Verhöre ist die grell scheinende Lampe, die man dem Inhaftierten
     ins Gesicht hält, ihm so lange den Schlaf raubt, bis er gesteht. Und ich weiß noch sehr genau, wie ich, als wir in dem ganz
     grell ausgeleuchteten Café herumsaßen, nur mühsam ins Gespräch findend, mir wünschte, dass die menschenfreundliche Nacht über
     uns hereinbreche. Die Nacht, die unser Alter verheimlicht und das verwischte Makeup, die krummen Beine und den über die Jahre
     keck angewachsenen Bauch, die unschön gekräuselten Haare am Körper, auch die, die aus der Nase wachsen.
    Alles, was man nur in Schemen sieht, ist schön.

|226| 4 GLÄTTE
    I ch fand in einer Schublade, als ich meine Wohnung aufräumte, ein altes Handy, das so alt gar nicht war, ich hatte es jüngst
     erst durch ein Smartphone ausgetauscht. Ich hielt das alte Handy verwundert in der Hand. Es schien einem anderen Zeitalter
     entsprungen. Schwer war es, klobig sah es aus. Als ich es
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