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Die schoene Tote im alten Schlachthof

Die schoene Tote im alten Schlachthof

Titel: Die schoene Tote im alten Schlachthof
Autoren: Sabine Schneider , Stephan Brakensiek
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der Universität ein Bistro des Studierendenwerks leitete, beteuerte
immer wieder stolz, dass er in seinem ganzen Leben noch nie einen Fuß in den
Stadtteil gesetzt habe, aus dem Ferschweiler stammte. Viel zu gefährlich sei
ihm das und für sein Auto auch aufgrund des Zustands der Straßen gar nicht zu
empfehlen. Er hielt sich anscheinend für etwas Besseres und die Einwohner von
Trier-West allesamt für kriminell.
    Ferschweiler konnte über so viel Ignoranz nur lachen. Zwar war auch
er in einer Straße aufgewachsen, in der schon einmal Schüsse fielen oder
morgens die Frauen beim Wäscheaufhängen nur mühsam ihre blauen Flecken und
blutunterlaufenen Augen verbergen konnten, aber Ferschweiler war nun einmal
einer von hier. Für ihn waren die Straßen zwischen den ehemaligen französischen
Kasernen und der Kurfürst-Balduin-Hauptschule seine Heimat. Hier hatte er schon
als Kind gespielt, hier war er zur Schule gegangen. Und hier, auf der Kurfürst,
hatte er auch Rosemarie Geib kennengelernt.
    Ferschweiler ging die letzten Meter bis zur Kneipe, stieg die drei Stufen
zur Tür hinauf und betrat den schummrigen Schankraum. Keiner nahm wirklich von
ihm Notiz, alle kannten ihn und respektierten ihn, sie nannten ihn hier nur den
»Sheriff«, als einen der ihren.
    »Hallo, Rudi«, begrüßte ihn Rosi. »Brauchst gar nichts zu sagen. Ich
sehe es dir an. War ein Scheißtag, oder?«
    »Lass uns nicht darüber sprechen. Jetzt ist Feierabend, und ich freue
mich auf ein Stubbi.«
    »Kommt sofort«, trällerte die begehrte Wirtin, die heute, wie Ferschweiler
fand, besonders hübsch aussah in ihrer rosa geblümten Bluse.
    Ferschweiler setzte sich auf einen freien Hocker an der Theke.
Gerade jetzt, am Ende dieses allzu langen Tages, hätte er sich gern eine Zigarette
angezündet. Das war auch ein Vorteil des »Standhaften Legionärs«: Hier durfte
noch geraucht werden. Aber Ferschweiler war schon seit fast sechs Jahren ohne
Nikotin. Nur in Momenten hoher Anspannung hatte er noch manchmal Lust auf eine
Zigarette. Doch bisher war er immer standhaft geblieben, so wie der Namensgeber
von Rosis Pilsstube.
    Nach dem ersten Schluck aus der kleinen braunen Flasche, die Rosi
ihm mit einem Lächeln hingestellt hatte, entspannte er sich allmählich.
Vielleicht würde dieser Tag doch noch ein gutes Ende nehmen.
    Das Läuten seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken, die ihm ein
leichtes Lächeln aufs Gesicht gezaubert hatten.
    »Ja, Ferschweiler hier.«
    Es war Wim de Boer, sein neuer Assistent, der erst seit ein paar Monaten
in der Moselmetropole arbeitete.
    »Rudi, wir haben eine Tote. Kannst du bitte kommen?«
    »Wohin?«, fragte Ferschweiler missmutig. Ein angenehmer Abschluss
dieses Tages schien in weite Ferne zu rücken.
    »Aachener Straße, Kunstakademie. Atelier C. Die Kollegen von der
Spurensicherung sind schon unterwegs, und ich fahre jetzt auch direkt los.«
    »Wir sehen uns gleich«, knurrte Ferschweiler und legte auf.
    Wenigstens hatte er es nicht weit. Bis sein Kollege und das Team der
Spurensicherung eintreffen würden, konnte er noch in Ruhe bei Rosi sein Stubbi
leeren – das war zumindest ein kleiner Trost. Also blieb Ferschweiler erst
einmal sitzen und widmete sich der fast leeren Flasche vor ihm auf dem Tresen.
Wenige Minuten später stand er auf und verabschiedete sich von Rosi.
    »Schade, dass du schon wegmusst«, sagte sie sichtlich enttäuscht.
    »Schreib’s auf meinen Deckel, wenn noch Platz ist«, erwiderte Ferschweiler
schon im Gehen und lächelte ihr zu.
    »Bis bald, mein Schöner!«
    Draußen war es inzwischen schon dunkel geworden. Der Winter kam
immer näher. Mit hochgeschlagenem Kragen wandte sich Ferschweiler nach rechts
Richtung Kunstakademie.
    »Mein Schöner«. Er hatte es noch gehört. Man nannte ihn schon seit
seiner Jugend den »schönen Rudi«. Warum, wusste er selbst nicht wirklich. Er
war ein eher bescheidener Typ, der nie besonderen Wert auf sein Äußeres gelegt
hatte. Als unauffällig hätte er sich selbst bezeichnet – besondere
Merkmale: keine. Für teure Klamotten hatte es in seiner Familie kein Geld
gegeben.
    An der Kurfürst, wie alle die Schule in seinem Jugendrevier, in dem
er immer noch wohnte, nannten, hatte er damit keine Probleme gehabt. Aber auf
dem Gymnasium, auf das auch Kinder aus anderen Stadtteilen gingen, verhielt es
sich anders, die Unterschiede wurden deutlich: Wrangler und Levi’s auf der
einen Seite, No-Name-Klamotten auf der anderen. Dem jungen Ferschweiler war das
egal
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