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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe
Autoren: Barbara Wood
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jeder Stadt, in der sie und ihre Mutter für eine Weile lebten, als Außenseiterin fühlte, hatte sie gelernt, ihre Zunge zu hüten und die Leute auf eigene Faust nach verschwundenen Hackebeilen suchen zu lassen.
    An einem Sommertag vor sieben Jahren schließlich, als Ulrika und ihre Mutter einen Ausflug aufs Land unternahmen, hatte Ulrika, umsummt von Bienenschwärmen und inmitten betörender Blumendüfte, um die Zeit, da die Sonne am höchsten stand, unvermittelt eine junge Frau erblickt, die aus dem Wald angerannt kam. Mit flatterndem Haar, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen, die Arme mit Blut befleckt.
    »Mutter, wovor läuft diese Frau weg?«, hatte Ulrika gefragt und überlegt, ob sie ihr zu Hilfe eilen sollten. »Sie sieht so verängstigt aus, und ihre Hände sind voller Blut.«
    »Welche Frau?«, hatte Selene gesagt und sich umgeschaut.
    Als sich dann die verängstigte Frau vor ihren Augen in Luft auflöste, hatte Ulrika erschrocken festgestellt, dass es wieder eine ihrer geheimnisvollen Visionen gewesen war, wenngleich sie diesmal so deutlich und lebensecht erschienen war wie noch nie zuvor. »Niemand, Mutter, sie ist schon weg.«
    Das war vor sieben Jahren gewesen.
    Danach hatten Ulrika keine Halluzinationen mehr heimgesucht, keine seltsamen Träume oder Vorahnungen von wunderlichen Orten, da gab es keine Eingebungen, wie es um die Seelenverfassung anderer stand, keine Hinweise, wo sich Verlorenes wiederfinden ließ. Mit Beginn der Pubertät war Ulrika endlich wie alle anderen Mädchen gewesen, normal und gesund. Bis sie heute, anlässlich Tante Paulinas Gastmahl, erneut eine Vision erlebt hatte.
    Die Stimme von Gaius Vatinius riss sie aus ihren Gedanken.
    »Wir müssen diese Germanen zur Ordnung rufen«, erklärte er gerade seinen Tischnachbarn. »Unter Tiberius wurden Friedensverträge mit den Barbaren unterzeichnet, und jetzt brechen sie sie. Ich werde diese Aufstände ein für alle Mal beenden.«
    Die Gäste in Paulinas Speisesaal lehnten sich zurück, stützten sich dabei mit dem linken Arm ab, während sie mit der rechten Hand den Speisen zusprachen. Der Ehrenplatz an Ulrikas Tisch gebührte Befehlshaber Vatinius. Ihre Mutter, die ihm als Tischdame zugedacht war, hatte ihren Platz links von ihm, Ulrika saß ihrer Mutter gegenüber. Die anderen Tischnachbarn waren ein einflussreiches Ehepaar, Maximus und Juno, der Finanzbeamte Honorius und Aurelia, eine ältere Witwe. Man erfreute sich an in Knoblauch und Zwiebeln gedünsteten Pilzen, an knusprigen Anchovis und Sperlingen, die mit Pinienkernen gefüllt waren.
    Als Befehlshaber Gaius Vatinius, ein eingefleischter Junggeselle, merkte, dass Ulrika ihn anstarrte, unterbrach er das Gespräch und musterte sie seinerseits. Ihre außergewöhnliche Schönheit entging ihm keineswegs – ihre Haut schimmerte wie Elfenbein, das Haar war von der Farbe dunklen Honigs. Und dann die blauen Augen: bei Römerinnen eine Seltenheit. Ein Blick auf ihre linke Hand verriet ihm, dass sie unverheiratet war, was ihn angesichts ihres Alters überraschte.
    Er bedachte sie mit einem charmanten Lächeln und sagte: »Ich langweile dich wohl mit meinen Soldatengeschichten.«
    »Durchaus nicht«, versicherte Ulrika. »Und das Rheinland hat mich schon immer interessiert.«
    »Warum können sie nicht Ruhe geben und sich wie zivilisierte Menschen benehmen?«, warf Aurelia verärgert ein. »Wenn man bedenkt, was
wir
für die Welt getan haben. Unsere Aquädukte, unsere Straßen.«
    Vatinius wandte sich der Älteren zu. »Was die Barbaren so wütend macht, ist, dass Kaiser Claudius vor vier Jahren eine Siedlung am Rhein aus dem Status einer Garnison in den Rang einer Kolonie erhoben hat. Zu Ehren seiner Gattin Agrippina, die dort geboren wurde, nannte er sie Colonia Agrippinensis. Das war der Zeitpunkt, zu dem die Überfälle mit Macht einsetzten. Offenbar hat die Romanisierung eines alten germanischen Gebiets dazu geführt, dass die Barbaren sich auf ein längst überholtes Stammesbewusstsein besonnen haben und meinen, ein freies germanisches Volk sein zu wollen.« Vatinius winkte mit einer schwer beringten Hand. »Claudius hat mir die ehrenhafte Aufgabe übertragen, Colonia zu verteidigen, was immer es kostet.«
    Ulrika griff nach ihrem Weinbecher, vermochte aber nicht zu trinken. Der Wolf … und jetzt war die Rede von neuerlichen Kämpfen in Germanien.
    »Die Barbaren waren lange Zeit über friedlich«, sagte Maximus, der reiche und dicke Rechtsgelehrte. Er hielt die Hand
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