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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe
Autoren: Barbara Wood
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ein prächtiges Gotteshaus errichten. Millionen Pilger werden aus allen Teilen der Welt hierherkommen, um die sterblichen Reste des Verehrungswürdigen Jakob, den sie dann Sant Yago nennen werden, zu verehren. Und wegen der Sterne, die auf den umliegenden Feldern niedergingen, wird dieser Ort als
campus stellae
in Erinnerung bleiben.«
    »Ich werde dafür sorgen, dass der Pilgerweg wieder gesichert wird«, sagte Sebastianus. »Ich werde Wegweiser aufstellen und Rastplätze einrichten. Und um unliebsamen Zwischenfällen vorzubeugen, werde ich entlang des Weges Wachen patrouillieren lassen. Weil ich jetzt weiß, dass ich zum Beschützer von Pilgern berufen bin. Dies ist wohl der wahre Grund, weshalb ich nach China geschickt wurde: um meine Fähigkeiten als Begleiter von Karawanen zu perfektionieren und zu lernen, wie man Reisende beschützt.«
    Mit dem Gedanken an China und an seinen Besuch dort, der ihm jetzt fast wie ein Traum vorkam, ging gleichzeitig die Erkenntnis einher, dass es in Anbetracht von Neros Wahnsinn wohl bei dieser einen Expedition bleiben würde. Auf Jahre oder gar Hunderte von Jahren hinaus. Sebastianus jedenfalls würde sein Leben lang gern an diese Zeit zurückdenken. Er war auf dem gelben Erdboden von Luoyang gewandert, hatte mit einem klugen Kaiser diskutiert, hatte Freundschaften geschlossen und das Geheimnis der Seidenproduktion erblickt. Jetzt aber hieß es für ihn, in die Zukunft zu schauen.
    »Ulrika, wie lange habe ich geglaubt, es sei mein Schicksal, neue Länder zu erkunden! Dabei habe ich mich immer nach zu Hause gesehnt. Jetzt bin ich zu Hause und werde mich mit dem befassen, was mir wirklich bestimmt ist. Mir ist auch bewusst«, fügte er hinzu, »dass es in der Welt Ordnung und Berechenbarkeit gibt,
und
Zufälle auch. Das Leben ist weder das eine noch das andere. So wie es Fixsterne und Sternschnuppen gibt, sind wir innerlich von gewissen Dingen überzeugt und von anderen nicht unbedingt. Warum das so ist, werden wir wohl nie begreifen. Wir wissen nur, dass wir, solange wir auf dieser Erde wandeln, unser Bestes geben sollten, um in Liebe und Frieden zu leben.«
    Ulrika löste die Kammmuschel um ihren Hals und legte sie auf den Altar. »Dies ist das Ende meines Weges, denn von nun an bin ich die Hüterin des Schreins. Wenn mich Menschen um Trost und Antworten bitten, werde ich sie in meiner Meditation unterweisen. Gut möglich, dass alle Menschen die Schicksalsgabe in sich tragen. Sie muss nur entdeckt und angewandt werden. Vielleicht geht es dabei ja gar nicht darum, heilige Orte zu finden, sondern das Heilige in uns.«
    Jetzt meinte sie zu hören, wie eine vertraute Stimme raunte: »Wohlgetan, Tochter. Ich werde nicht mehr zu dir kommen, denn du bedarfst meiner nicht länger.«
    »Erlaube mir noch eine Frage, Hohe Frau«, beschwor Ulrika im Stillen die Stimme. »Warum bist du zu
mir
gekommen? Warum nicht zu Sebastianus, wo du doch seine Ahnin bist und dies auch sein Schicksal ist?«
    »Weil ich nicht seine Ahnin bin, sondern
deine
. Die Gallus-Familie kam spät nach Galicien, und obwohl deine Mutter Römerin ist und dein Vater Germane, reicht dein Geschlecht bis in fernste Zeiten zurück, bis zur Felsküste von Galicien, wo ich einen Altar aus Kammmuscheln errichtete. Du stammst von mir ab, Ulrika von Galicien. Und auch wenn du mich nicht wiedersiehst, sei dir gewiss, dass ich immer bei dir sein werde. Lebe wohl, Tochter, und bewahre das Geheimnis aus dem Buch der Prophezeiungen.«
    Das kryptische Geheimnis, das Rhea Silva ihr anvertraut und Ulrika wiederum der Obersten Vestalin ins Ohr geflüstert hatte, war, dass die Regentschaft der Götter Roms zu Ende ging. Trug etwa Jakob, wenn sie ihn an diesem uralten Altar bestatteten, zu dieser Veränderung bei? Er hatte einem neuen Glauben angehangen, in dem es nur einen Gott gab, und jetzt sollte er an einem der Göttin Gaia geweihten Ort begraben werden. Vielleicht keine Veränderung, überlegte sie, auch kein Ende, sondern ein Brückenschlag in eine neue Zeit?
    Sie griff nach Sebastianus’ Hand. »Vor langer Zeit fragte ich eine Wahrsagerin, wohin ich gehöre. Ob es entscheidend für mich ist, wohin ich gehöre. Sie gab mir keine Antwort, aber mittlerweile weiß ich, dass der, der man ist, nicht davon abhängt,
wo
man ist. Wer man ist, ist etwas, was man mitnimmt, wo immer man hingeht.«
    Sebastianus lächelte. »Und jetzt sind wir hier. Zu Hause …«

Über Barbara Wood
    Barbara Wood ist international als Bestsellerautorin
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