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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe
Autoren: Barbara Wood
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Römern Finisterre genannt. Zu Fuß in einem Tag zu erreichen. Von dem Felssporn aus blickt man auf einen Ozean, der unendlich ist. Land gibt es danach nicht mehr.«
    »Von Luoyang bis Finisterre – du hast die Welt umrundet.« Ulrika strahlte ihn an.
    Noch ehe Sebastianus dem Tross das Zeichen zum Weitergehen geben konnte, hörte man einen hohen, durchdringenden Aufschrei. »Sieh doch nur, Meister!«, rief Timonides auf seinem Esel. »Da kommt jemand angerannt!«
    »Meine kleine Schwester.« Sebastianus saß ab und half dann Ulrika vom Pferd. »Wie ich sehe, hat sie Obsttörtchen gebacken. Ulrika, hoffentlich magst du Kirschen«, fügte er grinsend hinzu. »Mein Schwager bildet sich nämlich viel auf seine Obstgärten ein.«
    Ulrika war verblüfft, als sie die pummelige junge Frau aus ihrer weit zurückliegenden Vision mit gerafften Röcken über die Grünfläche und den Hügel hinaufhasten sah. Sie rannte keineswegs vor etwas davon, sondern auf etwas zu, und ihr geöffneter Mund zeugte nicht von Angst, sondern machte einem Freudenschrei Luft. Das »Blut« an ihren Händen rührte vom Saft roter Früchte.
    Bruder und Schwester umarmten sich überschwänglich, lachten und weinten durcheinander.
    »Seit wir deine Nachricht erhalten haben, treffen wir Vorbereitungen für deine Rückkehr!«, erklärte Lucia atemlos.
    Sofort nach ihrer Landung in Barcino hatte Sebastianus einen berittenen Boten samt bewaffnetem Wachmann mit Grüßen zu seiner Familie entsandt und ihr seine Rückkehr angekündigt. Mittlerweile kannte Ulrika die Namen und Geschichten jedes einzelnen Verwandten und wusste auch, dass seine drei Schwestern mit ihren Ehemännern und Kindern und weiteren Angehörigen in diesem riesigen Anwesen lebten.
    Lucia, die den Eindruck einer gut situierten Frau machte, sah ihrem Bruder sehr ähnlich, ihr langes Haar glänzte ebenfalls wie Bronze. Mit strahlenden Augen schaute sie Ulrika an. Ihr Lateinisch war durchsetzt mit einem starken Dialekt, was für Ulrika bedeutete, dass sie sich diese Redeweise aneignen musste. Die Schwägerinnen umarmten sich, während immer mehr Menschen herbeigeeilt kamen. Männer in kurzen Tuniken, Frauen in langen Gewändern, Kinder und Hunde, alle wollten den heimgekehrten Bruder und Onkel begrüßen.
    Die Karawane bewegte sich auf das große Anwesen zu, wo sie begeistert willkommen geheißen wurde. Man machte sich miteinander bekannt, alles redete durcheinander und gleichzeitig. Ein fröhliches Feiern hob an, das sich bis spät in die Nacht hinzog – mit Musik und Tanz, viel Wein und Mengen von gedämpften Muscheln, gedünsteten Sepien, gebratenem Tintenfisch und einem nicht endenden Aufgebot an Kirschtörtchen.
    Als Ulrika schließlich in Sebastianus’ Armen lag, in dem Zimmer, das er sich einst mit seinem Bruder Lucius geteilt hatte, musste sie an den Brief denken, den sie an ihre Mutter geschrieben und in Ostia einem Kapitän anvertraut hatte, der nach Ephesus wollte und versprochen hatte, ihn persönlich zu überbringen. Ihr Brief enthielt alles, was sie inzwischen erlebt hatte, und schloss mit einer Einladung, in der Hoffnung, Selene würde für lange Zeit in dieser nordwestlichen Ecke Hispaniens verweilen.
    Am nächsten Morgen stand zuerst ein Rundgang durch das Anwesen in Begleitung der ausgelassen herumhüpfenden Kinder an. Nach dem Mittagessen meinte Sebastianus, es sei an der Zeit, den uralten Altar aufzusuchen.
    Nur zu zweit machten sie sich auf zum bewaldeten Kamm des sanft ansteigenden Hügels, folgten einem uralten Pfad und vorbei an Pappeln, Eichen und Tannen – einem bewaldeten Paradies, das Ulrika an den Ort erinnerte, an dem sie die Kristallenen Teiche von Shalamandar gesehen hatte. Wohl niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass dort, wo der Pfad endete, das Durcheinander von aufgetürmten Steinen und Muscheln Gaias Altar war, derart wüst und verkommen sah er aus. Ulrika indes schloss die Augen, schickte ihren Geist hinaus auf diese abgeschiedene Lichtung, wohl wissend, dass sie auf geheiligtem Boden standen.
    »Wir werden den Verehrungswürdigen Jakob hier zur letzten Ruhe betten«, sagte sie. »Wenn wir den Altar wieder aufbauen und einen Schrein errichten, können die Menschen hier Hilfe und Trost von der Göttin erflehen und dem heiligen Mann, der hier ruht, ihren Respekt erweisen.«
    Sie legte die Hand auf den Altar, schloss wieder die Augen, verlangsamte ihr Atmen, flüsterte ihr Mantra – und empfing eine Vision. »An dieser Stelle wird man dereinst
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