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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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trotzdem dafür, dass er weiter an die Decke starrte. Der Schlaf wollte erst kommen, als schon das erste Licht durch den Spalt in den Vorhängen drang.
    »Also schön«, sagte der Beamte. »Das reicht uns fürs Erste.«
    Auf dem Weg zu Toners Wagen fragte Fegan: »Woher hast du gewusst, dass du dort auf mich warten musstest?«
    Toner lächelte. »Wir haben da drin einen Freund. Schon seit Jahren. Sobald er gehört hatte, dass das Morddezernat dich verhören würde, hat er mich angerufen. In letzte Zeit schnappt er nicht mehr viel Spannendes auf, trotzdem ist es noch nützlich, dass wir ihn haben.«
    Toner hatte als Anwalt Karriere gemacht. Klein und hager, wie er war, erinnerte er Fegan immer noch an den Jungen, mit dem er sich so viele Jahre herumgetrieben hatte, trotz Patsys dicken Schnurrbarts. Gegenüber der Presse bezeichnete Toner sich als Menschenrechtsanwalt, aber Fegan wusste haargenau, für wessen Rechte er sich in Wahrheit einsetzte. Und Toners Jaguar bewies, dass diese Leute gut bezahlten.
    Toner ließ den Wagen an und räusperte sich. »Ich muss dich zuerst noch zu jemandem bringen, bevor ich dich nach Hause fahre.«
    »Zu wem?«, fragte Fegan. Er legte seine Hand an den Türgriff, jederzeit bereit, ihn aufzuziehen und abzuhauen.
    »Zu einem alten Freund.« Toner bedacht ihn mit einem beruhigenden Lächeln und fuhr los.
    Fegan nahm die Finger vom Türgriff und wappnete sich. Er war froh, dass Toner schwieg, während der Jaguar über die Lisburn Road nach Norden fuhr und alle paar Meter wegen eines Zebrastreifens anhielt. Zu beiden Seiten glitten Designerboutiquen, Restaurants und Weinstuben vorbei. An den Ampeln überquerten Studenten und junge Berufstätige die Straße.
    Die glauben wohl, dass die Stadt jetzt ihnen gehört, dachte Fegan. Und wenn der Friedensprozess bedeutete, dass sie ohne Angst ihren überteuerten Kaffee trinken konnten, hatten sie womöglich sogar recht. Eine junge Frau in Bürokleidung ging vor der Motorhaube des Jaguars vorbei, ein Mobiltelefon ans Ohr gepresst. Fegan fragte sich, ob sie wohl schon auf der Welt gewesen war, als man noch mit Schaufeln Leichenteile von der Straße gekratzt hatte.
    Er verscheuchte das Bild aus seinem Kopf, wütend über seine eigene Bitterkeit. Die plötzliche Ruhe nach so vielen nervenaufreibenden Wochen wühlte ihn auf. Jetzt, wo seine Verfolger ihn verlassen hatten, wo die Eiseskälte in seinen Eingeweiden und das Zerren in seinem Magen nachgelassen hatten, fand er diese Klarheit eher irritierend. Aber die sieben Jahre der Heimsuchungen durch seine Schimären waren noch nicht vorbei, nur weil Michael McKenna jetzt dahingeschieden war. Auch wenn Fegan sie nicht sehen konnte, die übrigen elf waren bestimmt nicht weit, und sie warteten, da war er sich sicher.
    Schließlich bog Toner nach rechts in die Tate’s Avenue ab und durchquerte die Stadt in Richtung Westen. In die Gegend, in die sie beide hingehörten.
    Die Fassade des alten Celtic Supporters Club hatte schon bessere Tage gesehen. Das Schild über dem Eingang war zwar mit Trikoloren und Fußbällen verziert, aber die Farbe blätterte ab, und darunter kam modriges Holz zum Vorschein. Wegen der schmuddeligen, überstrichenen Fenster hinter den Eisengittern sah das Gebäude aus wie blind.
    Toner ließ Fegan vorangehen. Der einzige nachmittägliche Zecher hielt seine Augen weiter auf die Zeitung gerichtet, als sie eintraten. Das Halbdunkel war durchdrungen vom Gestank nach schalem Bier und Zigaretten. In Kneipen wie dieser würde man das Rauchverbot nie und nimmer durchsetzen können.
     
    Sie gingen in den hinteren Teil des Klubs und betraten einen nasskalten, schmalen Flur mit Toilettentüren zu beiden Seiten. Ganz am Ende befand sich eine dritte, auf der PRIVAT stand. Als Toner gerade die Tür zu diesem Hinterzimmer öffnete, zuckte in Fegans Kopf ein plötzlicher Schmerz auf, ein gleißender Blitz zwischen seinen Schläfen. Er blieb stehen und lehnte sich an die Wand. Von seinen Gliedmaßen aus kroch die Kälte in seine Körpermitte und breitete sich dort aus wie ein eisiges Spinnennetz.
    Toner sah sich über die Schulter um. »Mein Gott, Gerry«, sagte er, »was hast du denn?«
    Fegan atmete tief durch. »Nichts. Ich bin nur müde, das ist alles.«
    Elf Schatten schlichen durch den Flur, huschten an Toner vorbei und verschmolzen dahinter mit der Dunkelheit. Toner kam zu Fegan zurück und legte ihm seine kleine Hand auf die Schulter.
    »Er will doch nur mit dir reden«, sagte er. »Nur keine
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