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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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her.
    »Ich wollte eh gerade los«, sagte Fegan.
    »Fein, dann trink aus, und ich fahre dich nach Hause.« McKenna lächelte zu ihm herab, seine Zähne waren weiß und gerade. Er hatte sie sich richten lassen, damit er vor den Kameras eine gute Figur machte. Daraufhatte die Parteiführung vor seiner Nominierung für einen Sitz im Regionalparlament bestanden. Früher, so lange war das noch gar nicht her, hatte es überhaupt nicht der Parteilinie entsprochen, einen Sitz im Stormont anzustreben. Aber die Zeiten änderten sich, auch wenn Menschen das nicht taten.
    »Ich gehe zu Fuß«, sagte Fegan. »Sind ja nur ein paar Minuten.«
    »Es macht mir nichts aus«, antwortete McKenna. »Und außerdem wollte ich kurz mit dir reden.«
    Fegan nickte und nahm einen weiteren Schluck von seinem Stout. Er behielt ihn im Mund, als er sah, dass der Junge seinen Platz am anderen Tischende verlassen hatte. Fegan brauchte einen Moment, bis er ihn wiederentdeckt hatte. Ohne Hemd und noch genauso dürr wie am Tag seines Todes tauchte er hinter McKenna auf.
    Der Junge deutete mit dem Finger auf den Kopf des Politikers. Dann tat er so, als schieße er, und ließ die Hand vom Rückstoß hochschnellen. Seine Lippen machten peng, aber es kam kein Laut.
    Fegan schluckte das Guinness hinunter und starrte den Jungen an. Irgendetwas ging ihm im Kopf umher, als sei eine Erinnerung auf der Suche nach einer zweiten. Der Frostschauer in seinem Bauch zuckte im Rhythmus seines Herzens.
    »Erinnerst du dich noch an diesen Jungen?«, fragte er.
    »Fang nicht davon an, Gerry.« In McKennas Stimme lag ein warnender Unterton.
    »Ich habe heute seine Mutter wiedergetroffen. Ich war auf dem Friedhof, und sie kann zu mir.«
    »Das weiß ich«, sagte McKenna und nahm Fegan das Glas aus der Hand.
    »Sie sagte, sie wüsste, wer ich bin. Was ich gemacht hätte. Sie sagte…«
    »Gerry, ich will nicht wissen, was sie gesagt hat. Viel mehr interessiert mich, was du zu ihr gesagt hast. Darüber müssen wir reden. Aber nicht hier.« McKenna drückte Fegans Schulter. »Komm jetzt.«
    »Er hatte überhaupt nichts gemacht. Jedenfalls nichts Schlimmes. Er hat den Cops nichts gesagt, was sie nicht ohnehin schon wussten. Das hatte er nicht verdient. Mein Gott, er war erst siebzehn. Wir mussten ihn doch nicht…«
    Eine Hand packte Fegans Gesicht, die andere sein schütter werdendes Haar, und das Tier in McKenna kam zum Vorschein. »Halt deine verdammte Klappe!«, zischte er. »Vergiss nicht, mit wem du redest.«
    Wie hätte Fegan das vergessen können? Als er in diese wutentbrannten blauen Augen sah, fiel ihm jede Einzelheit wieder ein. Dies war das Gesicht, das er kannte. Nicht das aus dem Fernsehen, sondern ein Gesicht, das vor glühender Wonne gelodert hatte, als er Jungen mit einem Tischlerhammer traktiert hatte. Das rot bespritzte Gesicht, als er Fegan die 22er in die Hand gedrückt hatte, damit der die Sache zu Ende brachte.
    Fegan umklammerte McKennas Handgelenke und hebelte die Hände weg. Mit Mühe gelang es ihm, seinen eigenen Zorn zu unterdrücken.
    Während McKenna seine Hände wegnahm, erschien wieder das Lächeln auf seinen Lippen, doch es blieb auch nur dort. »Komm jetzt«, sagte er. »Mein Wagen steht draußen. Ich fahre dich nach Hause.«
    Die zwölf folgten ihnen hinaus auf die Straße, der Junge immer dicht bei McKenna. McKenna war in der Parteihierarchie zwar weit emporgestiegen, aber noch nicht so weit, dass er einen eigenen Leibwächter brauchte. Trotzdem wusste Fegan, dass der Mercedes, der im orangefarbenen Licht der Straßenlaternen schimmerte, gepanzert war und sowohl Kugeln als auch Bomben standhielt. McKenna fühlte sich vermutlich sicher, als er sich jetzt auf den Fahrersitz schwang.
    »War ein großer Tag heute«, sagte er, während er den Wagen vom Bordstein lenkte und Fegans Verfolger ihnen nachstarrten. »Da oben im Stormont sind die Büros zugewiesen worden. Ich hab jetzt meinen eigenen Schreibtisch mit allem Drum und Dran. Wer hätte das mal gedacht, was? Unsereiner da oben auf dem Hügel. Und meiner Frau hab ich noch einen Posten als Sekretärin zugeschustert. Die Briten investieren so viel Kohle in diese Sache, dass ich mich beinahe schlecht dabei fühle, wenn ich sie ihnen abknöpfe. Beinahe.«
    McKenna lächelte Fegan an. Fegan lächelte nicht zurück.
    Die meiste Zeit verkniff er es sich, die Nachrichten anzuschauen oder Zeitung zu lesen, aber in den letzten zwei Monaten war es zu regelrecht erdrutschartigen Veränderungen gekommen.
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