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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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gewöhnt, dass die zwölf ihn auch bei seinen würdelosesten Verrichtungen beobachteten.
    Er zog ab, wusch sich am Waschbecken die Hände und machte die Tür auf. Draußen im Flur wartete der Junge auf ihn. Er starrte in die Finsternis von Fegans Schlafzimmer.
    Verwirrt blieb Fegan einen Moment lang stehen. In seinen Schläfen pochte es, und auf seiner Stirn klopfte pulsierend ein Schmerz.
    Der Junge deutete auf das Zimmer.
    »Was ist?«, fragte Fegan.
    Der Junge fletschte die Zähne. Ruckartig wies sein dürrer Arm auf die Tür.
    »Ist ja schon gut«, sagte Fegan. Er ging in sein Schlafzimmer und sah sich noch einmal über die Schulter um.
    Der Junge folgte ihm in die Dunkelheit und kniete sich vor dem Bett hin. Der deutete darunter.
    Fegan ließ sich auf Hände und Knie nieder und spähte unter das Bettgestell. Das schwache Licht, das vom Flur hereindrang, fiel auf den dort versteckten Schuhkarton.
    Fragend hob Fegan den Kopf. Der Junge nickte.
    Fegan musste sich ganz lang machen, um heranzukommen. Er zog den Karton zu sich. Durch das Rutschen rollte etwas Schweres darin hin und her, und Fegans Herz schlug schneller. Er nahm den Deckel ab. Der speckige Geruch von Geldscheinen begrüßte ihn. Ganze Bündel von Banknoten lagen im Karton, Zwanziger, Fünfziger, Hunderter. Fegan wusste selbst nicht, wie viel Geld es war. Er hatte es nie gezählt.
    Aber da war noch etwas, kalt und schwarz, halb in Papier eingewickelt. Etwas, das Fegan nicht in der Hand haben wollte. Im Zwielicht suchten seine Augen die des Jungen.
    »Nein«, erklärte Fegan.
    Der Junge stach mit dem Finger auf den Gegenstand ein. »Nein.« Das Wort fühlte sich an, als perle es von seiner Zunge ab.
    Der Junge riss den Mund auf und raufte sich die Haare. Noch bevor ihm der Schrei entfahren konnte, griff Fegan in den Karton und holte die Walther P99 aus ihrem Versteck.
    Ein Lächeln erstrahlte auf dem Gesicht des Jungen. Er tat so, als würde er den Schlitten zurückziehen und die erste Patrone laden.
    Fegan sah von dem Jungen zur Pistole und wieder zurück. Der Junge nickte. Fegan zog den Schlitten zurück, ließ los und hörte das metallische Klicken, als die geölten Teile ineinandergriffen. Die Waffe lag so fest in seiner Hand wie der Händedruck eines alten Freundes.
    Der Junge lächelte, stand auf und trat hinaus in den Flur.
    Fegan starrte auf die Walther hinab. Er hatte sie sich einige Wochen nach seiner Entlassung aus dem Maze Prison gekauft, nur zu seinem eigenen Schutz, und sie bislang auch nur zum Reinigen aus der Schachtel geholt. Seine Fingerspitze fand den Schutzbügel mit dem Abzug.
    Der Junge wartete auf dem Flur.
    Fegan stand auf und folgte ihm zur Treppe. Der Junge ging hinunter, sein schlanker, geschmeidiger Körper blieb unberührt von dem heraufdringenden Licht.
    Langsam begann Fegan die Treppe hinabzusteigen. Ein Adrenalinstoß spülte dunkle Erinnerungen hervor. Stimmen, die schon lange zum Schweigen gebracht worden waren, Gesichter wie Blutflecken. Die anderen folgten ihm und tauschten verstohlene Blicke aus. Unten angekommen, sah er McKennas Rücken. Der Politiker musterte gerade ein altes Foto von Fegans Mutter, auf dem sie jung und hübsch in einer Tür stand.
    Der Junge durchquerte den Raum und tat wieder so, als exekutiere er den Mann, der ihn vor über zwanzigjahren mit einem Tischlerhammer zusammengeschlagen hatte.
    Fegans Herz hämmerte, er keuchte schwer. Das musste McKenna doch hören.
    Der Junge sah Fegan an und lächelte.
    »Wenn ich es mache, lässt du mich dann in Ruhe?«, fragte Fegan.
    Der Junge nickte.
    »Was?« McKenna stellte das gerahmte Foto wieder hin und wandte sich zu der Stimme um. Als er die auf seine Stirn gerichtete Waffe sah, erstarrte er.
    »Hier kann ich es nicht machen.«
    Das Lächeln des Jungen verschwand.
    »Nicht bei mir zu Hause. Irgendwo anders.«
    Das Lächeln kehrte zurück.
    »Mein Gott, Gerry!« Ein kurzes, nervöses Lachen entfuhr McKenna, während er die Hände hob. »Was hast du vor?«
    »Tut mir leid, Michael. Ich muss.«
    McKennas Lachen erstarb. »Ich verstehe das nicht, Gerry. Wir sind doch Freunde.«
    »Wir steigen jetzt in deinen Wagen.« In Fegans Kopf herrschte völlige Klarheit. Zum ersten Mal seit Monaten zitterte seine Hand nicht.
    McKennas Mund verzerrte sich. »Einen Scheiß machen wir.«
    »Wir steigen jetzt in deinen Wagen«, wiederholte Fegan. »Du vorne, ich hinten.«
    »Gerry, du bist ja übergeschnappt. Nimm jetzt die Waffe runter, bevor du noch was anstellst, das du
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