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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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konnte? Wenn man ein Postamt überfiel, erbeutete man ja vielleicht genügend Bares, um vernünftige Waffen zu kaufen, aber was brachte das schon, wenn man sie dann Leuten wie Comiskey in die Finger gab? Der war imstande und schoss sich seine eigene Zehe ab.
    Nicht zum ersten Mal fragte Campbell sich, was zum Teufel er eigentlich bei diesem Pack wollte. Sie sahen sich als Republikaner und waren der Sache mehr ergeben als diese Abtrünnigen aus dem Norden, dabei waren sie kaum in der Lage, eine Runde Bier zu bestellen. Mit einer vollkommen idiotischen Tat vor neun Jahren hatten die Dissidenten sich beinahe selbst erledigt. Der verheerende Bombenanschlag von Omagh hatte 1998 an einem Sommernachmittag 29 Zivilisten und einem ungeborenen Zwillingspärchen das Leben gekostet, und das nur wenige Monate nach dem Karfreitagsabkommen. Die geringe Unterstützung, die die abtrünnigen Republikanergruppen überhaupt je erfahren hatten, hatte sich über Nacht in Luft aufgelöst. Durch die Veränderungen im Norden allerdings füllten sich ihre Reihen inzwischen wieder, weil immer mehr Fußsoldaten den Dissidenten zugetrieben wurden. Jetzt, da die Bewegung keine Verwendung mehr für sie hatte, befürchteten sie, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Der Friedensprozess hatte viele untätig zurückgelassen, und der Teufel verteilte fleißig neue Arbeit.
    Als sie begriffen hatten, dass Campbell gar kein Ire war, hatten sich einige der Jungs gegen seine Aufnahme ausgesprochen. Aber sein Ruf war ihm aus Belfast vorausgeeilt. Nachdem er über die Grenze nach Dundalk gekommen war, hatte McSorley den Schotten aufgespürt und ihn zu seiner rechten Hand gemacht. Die Dissidenten bestanden aus lauter Banden wie der von McSorley, manche größer, manche kleiner und alle lose geeint durch ein gemeinsames Ziel. Sehr bald, vielleicht schon in diesem Jahr, vielleicht im nächsten, würden sie sich alle vereinen und wieder zu einer wirklichen Bedrohung werden. Bis dahin stritten sie sich weiter untereinander und überfielen derweil Postämter auf dem Land.
    Ein Job ist ein Job, ermahnte Campbell sich. Er seufzte in sich hinein und ließ seinen Blick streunen, während McSorley zum zehnten Mal den Schlachtplan vortrug.
    Seine Augen blieben an dem leise gestellten Fernseher über der Bar hängen. Erst erschien das Foto eines vertrauten Gesichts, dann ein Filmbeitrag mit Männern in weißen Papieroveralls und Mundschutzen, die einen Mercedes untersuchten.
    »Guckt mal da«, sagte Campbell.
    McSorley war zu beschäftigt mit seinem Plan, um etwas zu bemerken, deshalb schlug Campbell ihm auf die Schulter.
    »Was ist?«
    »Guck mal da.« Campbell nickte in Richtung Fernseher. »He, Joe. Mach mal laut, ja?«
    Der Wirt tat ihm den Gefallen und die kultivierte Stimme eines RTE-Reporters sagte: »Ein Polizeisprecher wollte nicht darüber spekulieren, wer hinter dem Mord an Michael McKenna stecken könnte, aber Sicherheitsexperten haben angedeutet, dass die Hauptverdächtigen Loyalisten oder abtrünnige Republikaner sind.«
    »Teufel noch mal, ich war’s jedenfalls nicht«, sagte McSorley.
    Comiskey und Hughes lachten, Campbell nicht. In seinem Bauch machte sich mulmiges Gefühl breit.
    Der Reporter fuhr fort. »Zwar gab es Gerüchte über ein Zerwürfnis zwischen McKenna und der Parteiführung, doch eine interne Fehde ist von allen Beobachtern ausgeschlossen worden. Sicherheitsexperten haben indessen über die weiteren politischen Folgen des Mordes an McKenna spekuliert. Als führendem Republikaner und Mitglied der nordirischen Selbstverwaltung im Stormont könnte seine Ermordung durchaus dazu führen, dass die hart erkämpfte Einigung im Norden genau in dem Moment destabilisiert wird, wo die neu gewählte Regierung ihre Arbeit beginnt.«
    »Junge, Junge«, sagte McSorley. »Hat am Ende also doch noch einer Michael McKenna erwischt. Dem Himmel sei’s gedankt. Jetzt muss ich mir wenigstens nicht mehr die Fresse von diesem schleimigen Mistkerl auf der Mattscheibe angucken.«
    Im Fernsehen wurde inzwischen Archivmaterial gezeigt, in dem McKenna vor seinem Büro in der Belfaster Springfield Road interviewt wurde. Hughes und Comiskey johlten, als die Kamera auf das Parteilogo zoomte. Zum Abschluss des Beitrags sagte der Korrespondent aus dem Norden: »Die Forensiker sind nach wie vor am Tatort.«
    »Einen Scheiß werden die finden«, sagte Campbell. »Die haben doch keinen blassen Schimmer von Forensik. Bin schon überrascht, dass sie überhaupt den
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