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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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Angst.«
    Fegan wischte Toners Hand beiseite. »Ich habe keine Angst, ich habe einen Kater. Also los.«
    Er drückte sich an Toner vorbei, trat zur Tür und öffnete sie. Beim Anblick des Mannes, der dahinter wartete, schlug ihm fast das Herz aus dem Hals.
    Auf Vincie Caffolas Glatze spiegelte sich das Licht aus der Glühbirne, die über ihm hing. Man hatte Kisten und Fässer beiseitegeräumt und in die Mitte des Raumes einen einzelnen Stuhl gestellt. Den Boden bedeckte eine Plastikfolie, und Caffola trug einen neuen Overall, den seine massigen Schultern zu sprengen drohten.
    »Gerry, wie geht’s?« Bei Caffolas Grinsen drehte sich Fegan der Magen um. »Nicht übel.«
    »Ich warte dann mal im Auto.« Toner tätschelte kurz Fegans Rücken und verschwand auf demselben Weg, auf dem sie gekommen waren.
    »Nimm doch Platz«, sagte Caffola.
    Fegan setzte sich, legte die Hände auf die Knie und widerstand dem Drang, in Abwehrhaltung zu gehen. Der Luftzug, den Toner beim Schließen der Tür erzeugt hatte, ließ die Birne über ihm sachte schaukeln und Caffolas Schatten an der Wand hin und her streichen. Andere Schatten folgen ihm, überlagerten einander und verdichteten sich. Fegan schluckte und stemmte sich blinzelnd gegen den Schmerz, der hinter seinen Augäpfeln anschwoll.
    »Schlimme Sache, das mit Michael, was?« Caffola blickte düster.
    Zwei Silhouetten lösten sich aus den düsteren Ecken, junge Männer, die schon lange tot waren. Ihre Uniformen waren ganz von Blut und schwarzem Schlamm besudelt. Fegan konzentrierte sich weiter auf Caffola, auch als die beiden ihre Hände hoben und zu Pistolen formten.
    »Ja«, antwortete er. »Ich dachte, das wäre jetzt alles vorbei.«
    »Es ist nie vorbei.« Caffola lief im Raum auf und ab. Die beiden Männer aus dem Ulster Defence Regiment folgten ihm. »Nicht, solange die Briten noch da sind. Ich habe McGinty und den anderen meine Meinung dazu deutlich gesagt. Mir gefällt das nicht, was da jetzt gemacht wird. Dass man den Bullen hilft, im Stormont rumsitzt, all solche Sachen. Aber ich stehe zur Partei, egal was ist.«
    »Du warst immer loyal«, sagte Fegan.
    »Ja, loyal.« Das Wort schien Caffola zu gefallen. Er klatschte in die Hände. Zurück zum Eigentlichen, hieß das. »Also, ich muss herausfinden, was mit Michael passiert ist. Er ist gestern Abend von deinem Haus weggefahren. Wann war das?«
    »Gegen viertel nach elf, halb zwölf. Um den Dreh.«
    »Hat er gesagt, wohin er wollte?«
    »Nein. Wir haben nicht viel geredet. Ich war besoffen.« Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Caffola noch Befehle von Fegan entgegengenommen. Es beschämte Fegan, dass er nun seine eigene Schwäche eingestehen musste.
    »Hat er etwas über diese Kerle erzählt, mit denen er Geschäfte machte?«
    Fegan sah zu dem Muskelprotz hoch.
    »Was für Kerle?«
    »Eine Clique Scheißlitauer.« Caffola verzog den Mund, als ob allein das Wort einen schlechten Beigeschmack hätte. »Dreckige Mistkerle. Herrgott, dieses Land ist bald so voll mit Ausländern, dass es sich gar nicht mehr lohnt, die Briten rauszuschmeißen. Lauter verdammte Litauer, Polen, Nigger, Pakis, Schlitzaugen. Egal, wann man durch die Stadt läuft, einen anständigen irischen Akzent kriegt man kaum noch zu hören. Nur noch Ausländer. Und in Dublin ist es noch schlimmer. Warst du in letzter Zeit mal da?«
    »Nein«, antwortete Fegan.
    »Überall nur noch verdammte Ausländer, verdreckte Scheißkerle, die einem die Teller bringen. Ich kann überhaupt nicht mehr essen gehen, weil irgend so ein schwarzer Drecksack ja alles begrabscht hat.« Caffola schüttelte sich.
    Fegan jagte im Geiste seinen Erinnerungen nach, als er sah, wie die beiden UDR-Männer auf Caffolas geschorenen Kopf zielten und ihn genauso exekutierten, wie es der Junge bei McKenna gemacht hatte. Als es ihm plötzlich wieder einfiel, stockte ihm der Atem. Es war in einem Raum wie diesem gewesen, in Lurgan, zwanzig Meilen südwestlich der Stadt.
    Das alte Ulster Defence Regiment hatte früher aus eher amateurhaften Soldaten bestanden, die man aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert hatte. Wie die Polizei waren auch diese Männer fast alle Protestanten. Einige waren überdies Loyalisten, die ihre Stellung missbrauchten, um während ihrer Patrouillen auf Landstraßen und in kleineren Städten Katholiken aufs Korn zu nehmen. In der Nähe von Magheralin war eine Einheit mit sechs Männern in einen Hinterhalt mit einer Landmine geraten. Zwei waren sofort tot, zwei lagen
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