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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars
Autoren: Frank W. Haubold
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kennen, und doch blieb da der Schatten eines Zweifels. Was, wenn sie sich täuschten?
    Dann sahen sie das Licht.
    Es war nur ein schmaler bernsteinfarbener Streifen, der weit vor ihnen im Dunst lag, doch für die Männer strahlte er heller als jeder Leuchtturm. Sie hatten den Glauben an die »Stadt im Licht« – nichts anderes hieß Sadaika – niemals verloren, aber es war etwas anderes, dieses Licht vor sich zu sehen.
    Sie empfanden keine Genugtuung dabei, nur Staunen und Vorfreude, und ihre Gedanken hörten auf, um Dinge zu kreisen, die gewesen waren oder sein würden. Sie waren nicht mehr wichtig. Nicht jetzt. Die Männer waren aufgestanden, alle, und wagten kaum zu atmen, während sie sich dem in Dunst gehüllten Lichtermeer näherten, dessen gewaltige Ausmaße erst allmählich offenbar wurden. Das bernsteinfarbene Leuchten nahm jetzt die gesamte Weite ihres Blickfeldes ein und verlor auch in der Höhe kaum an Helligkeit.
    Manchmal schwebten Töne zu ihnen herüber, zart wie aus weiter Ferne, doch sie erstarben, bevor sie sich zu einer Melodie verbinden konnten. Dann war nur noch das Knistern des Feuers zu hören und das leise, kaum vernehmbare Plätschern, mit dem das Boot durch das Wasser glitt.
    Dann riß der Nebel auf und gab den Blick auf die Stadt frei.
    Sie hatten die Bilder nie aus der Erinnerung verloren, und doch standen sie stumm und staunend angesichts der Pracht, die sich ihren Augen bot.
    Es war weder die Größe der einzelnen Gebäude – sofern es sich bei den leuchtenden Gebilden überhaupt um Gebäude handelte – noch ihre architektonische Gestaltung, die den Zauber der Stadt ausmachten. Die terrassenförmig angelegten Kristallstrukturen vermittelten den Eindruck einer riesigen Freitreppe, die sich vom Ufer bis hinauf in schwindelnde Höhen erstreckte. Wo die Treppe schließlich endete, falls sie überhaupt irgendwo endete, blieb dem Betrachter durch den Dunst in der Höhe verborgen. Es gab keine Laternen oder sonstige Lichtquellen; das bernsteinfarbene Leuchten schien eine Eigenschaft des Materials zu sein, aus dem die einzelnen Stufen bestanden.
    Trotz der Lichtfülle erschien die Stadt genauso still und unbewohnt, wie sie sie aus ihren Träumen in Erinnerung hatten. Obwohl zahlreiche Boote an der Kaimauer festgemacht hatten, war niemand im Hafen oder in den aufwärts führenden Gassen zu sehen. Auch das mußte so sein, denn jene, die einst diese Boote benutzt hatten, waren längst nicht mehr hier. Die Männer wußten, daß die Stadt ihnen nichts geben konnte, das sie nicht selbst in sich trugen, und dennoch ...
    Doch der Schatten von Enttäuschung verflog, als sie die Musik hörten.
    Vielleicht hatte sich der Wind gedreht, vielleicht hatte sie auch gerade erst begonnen, die Wirkung war in jedem Fall überwältigend.
    Die Stadt sang.
    Anders ließ sich der Eindruck nicht beschreiben. Die Töne schienen aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen, und die Melodie klang auf seltsame Weise vertraut. Die Stadt sang mit tausend Stimmen, kraftvoll und einschmeichelnd zugleich, und sie verspürten nur einen Wunsch: mehr davon zu hören.
    Auf dem Weg zum Ufer schob sich die Barke vorbei an Dutzenden, vielleicht sogar Hunderten leerer Boote, doch sie bemerkten nichts davon.
    Die Stadt sang für sie. Das war keine Vermutung, sondern Gewißheit. Sie waren angekommen, und die Stadt war da r über genauso glüc k lich wie sie selbst.
    Tränen schossen Martin in die Augen, in denen sich das Licht brach wie in einem Kaleidoskop. Als sich die leuchtenden Kristalle zu drehen begannen, wurde ihm schwindelig, und für einen Augenblick verlor er den Kontakt zu seinen Gefährten.
    Ich träume, dachte er, als er wieder klar sehen konnte. Die Türme und Zinnen der Stadt strahlten jetzt heller, als hätte jemand das unsichtbare Feuer in ihrem Inneren noch einmal angefacht. Und dann sah er, daß da doch jemand auf der Kaimauer stand und ihm zuwinkte.
    Es war Steve.
    Martin wußte es, noch bevor er die »10« auf dem blau-weißen Trikot des Jungen lesen konnte. Die Stadt hatte ihr Versprechen gehalten ...
    »Steve«, flüsterte Martin glücklich. »Da bist du ja.« Er spürte seine Lider schwer werden, und dann versanken der winkende Junge, der Hafen und die gläserne Stadt in einer grauen Nebelwand. Martin Lundgren lächelte und lauschte dem Gesang der Stadt, der ihn einhüllte und erst verklang, als er längst wieder bei den anderen war – am Fuß der tausend Stufen von S a daika auf dem Weg in eine andere
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