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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars
Autoren: Frank W. Haubold
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n e grete assud – me halib sonsare wilit. Die fremdartig klingenden Worte waren allerdings nur eine Art semantischer Hülle für einen äußerst komplexen Sachverhalt, der in herkömmlichen Begriffen kaum darzustellen war. Grob umschrieben bedeutete er soviel wie »Der Nachtgeborene wandert in Dunkelheit, weil er/ihn das Licht flieht«, aber das war nur ein Teil der Aussage, die gleichzeitig auch eine Art Versprechen war ...
    »Halten Sie nur das Steuer gut fest, Mr. Lundgren«, brach in diesem Moment Sukawi, der Rätselmacher, das Schweigen. »Jetzt, da der Schleier gelüftet ist, dürften wir bald in unruhiges Fahrwasser geraten.«
    Das war der längste Satz, den Martin je aus dem Mund des schweigsamen Japaners vernommen hatte, und er verfehlte seine Wirkung nicht. Die Anspannung löste sich fast augenblicklich, Blicke begegneten sich, und halblaut geflüsterte Bemerkungen machten die Runde. Der Sprecher verbeugte sich leicht, wobei nicht klar wurde, ob es sich nur um eine höfliche Geste handelte oder ob er sich für seine Bemerkung entschuldigen wollte. Seine Miene blieb dabei vollkommen undurchdringlich und sein Lächeln eines Rätselmachers würdig.
    Dennoch fühlte sich Martin ein wenig erleichtert. Offenbar ging der Japaner davon aus, daß er nur aussprach, was alle wußten. Anderenfalls wäre seine Bemerkung eine grobe Unhöflichkeit gewesen. Die gemeinsame Erfahrung hatte etwas Beruhigendes, obwohl sie keine der drängenden Fragen beantwortete, die Martin bewegten: Warum gerade sie? Wer hatte sie ausg e wählt und mit welcher Absicht? Was e r wartete sie am Ziel ihrer Reise, falls die gläserne Stadt überhaupt noch existierte? Was war mit jenen, die früher dort g e lebt hatten? W o hin waren sie gegangen?
    Er hatte lange darüber nachgedacht, im Grunde hatte er zuletzt kaum noch etwas anderes getan. Aber erst heute morgen – im Augenblick des Abschieds – war ihm klargeworden, daß sich hinter all diesen ungeklärten Fragen eine einzige andere verbarg, selbstsüchtig, drängend und bange: Wird die Stadt d a sein und auf mich warten?
    Das Eingeständnis der eigenen Zweifel war schmerzhaft gewesen, und offenbar war ein Teil von ihm nicht bereit, das Ende der Gewißheit zu akzeptieren. Wie sonst war es zu erklären, daß ihn sein Bewußtsein immer wieder mit eben jenen Fragen konfrontierte, von denen er wußte, daß sie erstens nicht zu beantworten waren und zweitens nur der Angst entsprangen, daß ihn sein Traum getäuscht haben könnte?
    Forschend glitt sein Blick über die Gesichter derer, die sich seiner Führung anvertraut hatten. Ahnten sie etwas von seinen Überlegungen? Im zuckenden Lichtschein des Feuers ließ sich ihr Gesichtsausdruck kaum deuten; das Spiel von Licht und Schatten überlagerte jede Bewegung. Dennoch hatte Martin nicht den Eindruck, beobachtet zu werden. Offenbar hingen die Männer ihren eigenen Gedanken nach. Es war wohl nur die eigene Verunsicherung, die ihn annehmen ließ, man könne ihm seine Zweifel ansehen.
    Martin verzichtete darauf, auf Sukawis Bemerkung einzugehen. Der Japaner schien auch keine Antwort zu erwarten. Er saß regungslos mit gesenktem Kopf, wie in ein stilles Gebet versunken. Selbst als die Felswände näherrückten und die Strömung spürbar stärker wurde, hob er nicht den Blick.
    Obwohl das Boot weiterhin Kurs hielt und keinerlei Bedrohung zu erkennen war, umklammerte Martin das Steuerruder mit beiden Händen. Angesichts der geringen Sichtweite mußte er sofort reagieren, wenn ein Hindernis auftauchte. Die Konzentration auf seine Aufgabe vertrieb die Zweifel, und als sich Martin an einer unvermuteten Richtungsänderung des Flusses so kräftig gegen das Ruder stemmen mußte, daß seine Muskeln schmerzten, verspürte er beinahe so etwas wie Genugtuung. Mochten sie nur kommen, die Stromschnellen und Klippen. Er war der Steuermann, und er würde das Schiff sicher ans Ziel bringen, wie er es immer getan hatte. Die Euphorie, die er dabei empfand, stand in keinerlei Verhältnis zum Anlaß, aber das störte ihn nicht. Seltsamerweise schien sie sich sogar auf die Männer an Bord zu übertragen, denn es war unverkennbar, daß sich ihre Gestalten strafften, während sie sich gegenseitig anstießen wie Schuljungen auf einer Klassenfahrt und Bemerkungen tauschten, die Martin nicht verstehen konnte. Vielleicht war ihre plötzliche Munterkeit auch dem zunehmenden Fahrtwind zu danken, der ihr weißes Haar zauste und die trüben Gedanken davonblies. Der eine oder andere
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