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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars
Autoren: Frank W. Haubold
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mit leeren Händen kommen, denn anders als ein Spiegel, für den nur der Augenblick zählt, waren sie in der Lage, Gedanken und Emotionen aufzunehmen und detailgetreu wiederzugeben. Es war eine interessante, wenn auch nicht allzu schwierige Aufgabe gewesen, für die sie die Vereinzelung auf sich genommen hatten. Aus Erinnerungen und Wünschen geformt, hatten sie ihre Rolle perfekt ausgefüllt, nicht als Schauspieler, sondern indem sie mit einem Teil ihres Wesens tatsächlich zu dem geworden waren, was die Männer in ihnen sahen. Sie hatten ihnen jenen Rückhalt gegeben, den sie brauchten, um in einer fremden Welt zu überleben und heimisch zu werden. Es war wichtig, das wußten sie, obwohl sie den Plan nicht kannten, dessen Teil sie waren. Vielleicht würde sich das mit ihrer Rückkehr ändern. Ungeduld war ihnen zwar wesensfremd, doch es gab auch keinen Grund, sich länger als nötig in den seltsamen Behausungen ihrer Schützlinge aufzuhalten. Die Männer hatten sich auf einen langen Weg gemacht, und sie würden nicht zurückkehren.
    Es bedurfte keiner Absprache, jetzt, da sie wieder sich selbst gehörten und ihre Sinne keinen Einschränkungen mehr unterlagen. Sie spürten die Präsenz der anderen und fanden sich wie selbstverständlich auf einem Felsplateau oberhalb des am höchsten gelegenen Berghofes zusammen. Obwohl ihnen Sentimentalität fremd war, hatten sie ihre jeweilige Gestalt beibehalten, so daß ein irdischer Betrachter sie tatsächlich für eine Gruppe älterer Frauen halten konnte, die sich zu einem Ausflug in die Berge getroffen hatte. Allenfalls hätte ihn die Leichtfüßigkeit mißtrauisch machen können, mit der sie sich in dem steilen Gelände bewegten, oder ihre angesichts der niedrigen Temperaturen unangemessen leichte Bekleidung.
    Doch es gab keine irdischen Betrachter. Zwar umkreiste noch immer ein gutes Dutzend Satelliten den Planeten, doch selbst wenn deren Kameraaugen besagte Szene erfaßt und registriert hätten, würde niemand mehr die Aufzeichnungen sichten. Der Mars gehörte wieder sich selbst, und die Frauen auf dem Felsplateau waren ebensowenig menschlich wie die alten Männer in ihrem Boot auf dem »Fluß der müden Augen«. Der einzige Unterschied war, daß die Frauen es wußten ...
    Sie sprachen nicht miteinander, die Frauen mit dem graudurchwirkten Haar, aber als sie aufbrachen, wußte jede von der anderen, was sie gesehen und erlebt hatte. Der Austausch der Bilder belebte ihren Geist und erfüllte sie mit Vorfreude auf Limaron. Leichtfüßig bewältigten sie den steilen Aufstieg zum »Herrn der Winde« – einem Tafelberg an der Nordseite des Gebirgskamms. Dort rasteten sie, nicht weil sie erschöpft waren, sondern weil sie spürten, daß ein Sturm aufkam. Der Weg über das Gebirge war weit, und sie konnten jede Unterstützung brauchen. Der dunkle Streifen am Horizont wurde rasch breiter, und bald peitschten die ersten Windböen über das Plateau. Im Licht der tiefstehenden Sonne nahm der aufgewirbelte Staub eine blutigrote Färbung an; der Wind wurde stärker und zerrte an den Kleidern der Frauen, die nach wie vor wie lauschend im Halbkreis standen und keinerlei Regung erkennen ließen. Dann war die dunkelrote Wolke heran, und die Sturmfront riß sie buchstäblich von den Füßen. Doch sie fielen nicht, sondern schwangen sich wie schwerelos in den Sturm und ließen sich davontragen. Noch immer mochten sie ihre Menschengestalt nicht aufgeben, und so flogen sie mit ausgebreiteten Armen und wehendem Haar wie Sturmhexen über die schroffen Gipfel und tiefgeschwungenen Krater des Felsengebirges nach Osten, der Heimat entgegen ...
    – Hunderte Meilen Flug lagen hinter ihnen, als der Sturm jenseits der Berge allmählich seine Kraft verlor und sie in einem der ufernahen Dünenfelder sanft zu Boden gleiten ließ. Obwohl es mittlerweile dunkel geworden war, konnten sie die Präsenz Limarons – des »Sandmeeres«, wie es von den Menschen genannt wurde – überdeutlich spüren. Doch die Zeit der Heimkehr und des Einswerdens war noch nicht gekommen. Eine letzte Aufgabe war noch zu erledigen, denn auch hier, an den Gestaden Limarons, hatte der Mensch Spuren hinterlassen.
    Die Frauen fanden den Ort rasch. Der Lichtschein, der von ihm ausging, war weithin zu sehen. Das Anwesen ähnelte jenen, die sie kannten, und schien immer noch bewohnt zu sein. Die Scheiben eines Gewächshauses glänzten im Schein der Quarzlampen, und irgendwo summte ein Generator. Erst im Näherkommen erkannten sie die
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