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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars
Autoren: Frank W. Haubold
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Zeichen des Verfalls: zerbrochene Scheiben, verdorrte Pflanzenreste und überall Sand, der sich an manchen Stellen bis in Hüfthöhe türmte. Nachdem sie die Eingangstür freigelegt hatten, betraten sie das Haus. Es schien seit Jahren verlassen. Durch ein zerbrochenes Fenster hatte der Frost den Weg ins Haus gefunden und jeden Tropfen Flüssigkeit in Eis verwandelt. Flaschen waren geborsten, und ihr gefrorener Inhalt formte bizarre farbige Skulpturen. Sie stiegen die Treppe ins Obergeschoß hinauf und fanden den Besitzer. Er lag still, wie friedlich schlafend auf einer Bettstatt, und um seine blassen Lippen spielte ein traumverlorenes Lächeln. Eine der Frauen beugte sich lauschend über sein Gesicht, doch es war nicht einmal das Echo eines Gedankens oder Traums aufzuspüren. Sie beratschlagten stumm und faßten dann einen Entschluß. Zwei von ihnen hüllten den froststarren Körper in eine Decke, während die anderen zusammentrugen, was sie an Schriftstücken und Manuskripten fanden. Sie waren gründlich; nichts durfte verlorengehen. Die Bilder des Wortmalers würden überdauern, auch wenn es nicht gelang, seine Erinnerungen zu retten.
    Als sie gingen, ließen sie die Türen weit offen. Das Gewächshaus lag nun im Dunkel; der Generator war verstummt. Es war still, und der Wind, der um das verlassene Anwesen strich, nicht mehr als ein Flüstern.
    Die Frauen gingen ohne Eile. Es war jetzt nicht mehr weit. Sie hatten getan, was zu tun war, und jetzt kehrten sie heim. Vier von ihnen trugen den in eine Decke gehüllten Körper des toten Cholains – Wortmalers – von der fernen Erde. Am Ufer angekommen, zögerten sie keinen Augenblick. Ihre Füße hinterließen keine Spuren auf der grauen Oberfläche des Sandmeeres, obwohl sie mit jedem Schritt tiefer einsanken. Sie liefen weiter wie Badende in ein nächtliches Meer, und bald waren sie bis zu den Schultern versunken. Die Stimmen Lim a rons, die sie schon die ganze Zeit über begleitet hatten, wurden jetzt lauter und hießen sie willkommen. Sie erwiderten den Gruß förmlich und spürten beglückt, wie ihre Körper vergingen und ihr Geist zurückfand in die Geborgenheit des Einsseins. Als sich die schützende Haut der Heimstatt über ihren Köpfen schloß, waren die Strapazen der Reise bereits vergessen. Sie waren zu Hause, und alles war gut. Henoja valis sitara ban ...
     
    Allmählich nahm das Boot Fahrt auf. Obwohl die Wasserfläche nach wie vor spiegelglatt schien, wurde die Strömung stärker. Im Boot war davon kaum etwas zu bemerken, wäre da nicht der Widerschein des Feuers an den vorbeiziehenden Uferwänden gewesen, der den Männern einen vagen Eindruck der eigenen Geschwindigkeit vermittelte. Der Fluß zog träge und ohne merkliche Richtungsänderungen dahin, so daß sich Martins Aufgabe darauf beschränkte, das Boot in der Mitte der Fahrrinne zu halten. Manchmal wanderte sein Blick hinauf zu dem schmalen Stück Nachthimmel über ihnen, aber das Licht der Sterne war zu schwach, um vertraute Bilder zu formen. Es blieben winzige, blinzelnde Lichtpunkte, die ihm auszuweichen schienen, wenn er sie zu fixieren suchte.
    Noch immer war keinerlei Windhauch zu spüren. Das Schiff glitt in völliger Stille dahin, und allmählich verloren die Männer das Gefühl für Zeit und Raum. Der Widerschein des Feuers war zu schwach, um markante Veränderungen an den Wänden des Cañons festzustellen, und das Wasser schien nach wie vor völlig unbewegt wie ein Spiegel aus geronnener Dunkelheit. Es gab keine Möglichkeit herauszufinden, wie weit sie schon gekommen waren und wie groß die Wegstrecke war, die noch vor ihnen lag. Im Grunde konnten sie nicht einmal sicher sein, daß sich das Boot überhaupt vorwärts bewegte. Vielleicht lag es noch unweit der Stelle, an der sie es zu Wasser gelassen hatten, und das Bild der vorüberziehenden Felswände war nur eine geschickte Projektion?
    Ein Gleichnis! durchfuhr es Martin in plötzlicher Gewißheit. Merkwürdig, daß ihm der Gedanke nicht früher gekommen war. Dabei hatte es an Hinweisen nicht gefehlt: ein seit Jahrtausenden trocken liegendes Flußbett, das plötzlich wieder Wasser führte, ein versteinertes Wrack, das sich in ein seetüchtiges Boot verwandelt hatte, das Spiel von Licht und Schatten an den Uferwänden, und schließlich die endlos anmutende Fahrt auf dem dunklen Fluß, ohne Ursprung und Ziel, wie es schien, und doch mit einer unmißverständlichen Botschaft. Fast schämte er sich, sie erst jetzt erkannt zu haben. Chalit
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