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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin
Autoren: Sandra Lüpkes
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Wege aus dem grauen Osten in den bunten Westen geschleust worden und schließlich in ostfriesischen Bordellen gelandet waren. Fiese, geldgeile Herren, die ihren Spaß und ihren Verdienst an den Mädchen hatten. Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Gier und Unschuld – und sie, Wencke, hatte es der blassen, stillen Violetta einfach nicht zugetraut, dass sie ihren Geliebten und Zuhälter erbarmungslos über den Haufen schießt. Und das noch nicht einmal aus Rache, sondern nur, um sich an seiner Tageseinnahme zu bereichern. Erst als die Kleine, die auch noch gelispelt hatte, mit dem Geld im Koffer über alle Berge verschwunden war, da war Wenckes Argumentation von dem Streit des Opfers mit dem organisierten Verbrechen der Mädchenschleuser nicht mehr zu halten gewesen. Und da hatte sie ganz schön dumm dagestanden mit ihrer weiblichen Intuition. Doch sie hatte ihre Lektion gelernt. Sie hatte sich am Abend ihrer Niederlage betrunken, allein und zu Hause mit zwei Flaschen Wein. Und nur ihr Kater war Zeuge, als sie sich lallend vor dem Spiegelbild schwor, sich niemals und wirklich niemals wieder von ihrem Gefühl im Bauch beeinflussen zu lassen. Niemals außer manchmal.
    »Die Sanddornkönigin«, sagte Meint, ihr Assistent. Er hatte gerade mit dem seemannsgesichtigen Zeugen gesprochen, der die Leiche heute Morgen beim Kontrollieren seiner Kaninchenfallen gefunden hatte.
    »Sanddornkönigin? Ist das von dir?«
    »Nein, ist nicht aus meiner Feder, der Alte da hat sie so genannt. Außerdem ist es doch eher dein Metier, den Mordfällen dramatische Überschriften zu geben, liebe Chefin. Ich erinnere dich nur an den ›Mühlenschlachter‹ oder das ›Wattenputtel‹.«
    Wencke fühlte sich ertappt. »Sanddornkönigin« hätte wirklich von ihr stammen können.
    »Dies hier ist eine andere Kategorie Mord«, sagte sie schließlich.
    Sie saßen im Sand am Hang einer sanften Düne, es war nicht besonders kalt, nur der Wind, der ab und zu eine Böe über den Strandhafer blies, ließ sie ein wenig frösteln. In der Senke standen die Kollegen von der Spurensuche und steckten kleine nummerierte Täfelchen in den Sand. Viele Spuren gab es nicht, die es zu fotografieren gelohnt hätte. Der Wind war ein Meister im Vernichten von Beweismitteln. Eine zerdrückte, rostige Coladose, die mit Sicherheit nicht der Täter dort liegen gelassen hatte, war bereits vom Flugsand halb verdeckt worden, im Dornenbusch, fast direkt neben der Leiche, hing eine zerfledderte Plastiktüte im Geäst. Ansonsten lag hier nur eine tote Frau.
    »Sanddornkönigin im Sinne von Weinkönigin oder so«, fuhr Meint fort. »Am kommenden Wochenende steigt hier eine große Fete, in erster Linie wird wohl viel gegessen und getrunken, es sollen deswegen einige wichtige Personen auf die Insel kommen.«
    »Freiwillig?«
    Meint lachte. »Scheint so.« Er zog aus seiner Mappe ein Faltblatt heraus. Meint war einer von denen, die alles Wichtige und Unwichtige, was sie in einem Fall in die Hände bekommen, in einer eigens dafür angelegten Mappe sammeln. Wenn er einen Fall bearbeitete, so bewahrte er nahezu alles auf, er legte sich eine wahre Enzyklopädie über den Ort, über den Beruf und über die ganzen anderen scheinbaren Nebensächlichkeiten im Leben des Mordopfers an. Manchmal nutzte ihm dieser Wissensumfang tatsächlich zur Aufklärung, doch meistens speicherte er diese Details nur für sich, um sie dann und wann ungefragt zum Besten zu geben. Das hatte ihm im Kollegenkreis den Spitznamen »Lexikon« eingebracht, er schien sich nicht daran zu stoßen. Wencke hatte keine solche Mappe, und ihr Gedächtnis war so zuverlässig wie das Wetter im April, doch sie hatte andere Qualitäten.
    Sie nahm das Faltblatt in die Hand. Es fühlte sich teuer an, festes und raues Papier, bedruckt mit goldfarbenen Lettern und geschmückt mit orangen Ornamenten, die wohl Sanddornbüsche darstellen sollten. Sie überflog den Text.
    Wir laden Sie herzlich ein, liebe Feinschmecker! Lernen Sie unsere schlanke, schöne Insel kennen und auch unseren heimlichen Schatz: die Sanddornbeere. Diese farbenfrohe Vitaminbombe… blablabla… im bezaubernden Hotel »Dünenschloss«… blablabla… Galamenü, gezaubert von unserem Künstler am Herd, Fokke Cromminga… blablabla… am 17. Oktober, ab 12 Uhr mittags ein ganzer Tag nur für Sie und Ihren verwöhnten Gaumen… blablabla… es freut sich auf Sie, Ihre Juister Sanddornkönigin.
    Darunter ein weichgezeichnetes Bild: eine lächelnde Rothaarige in
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