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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin
Autoren: Sandra Lüpkes
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war mutig, außerordentlich mutig von ihm, denn wenn dem einen Gourmet eine Prise zu viel Safran unangenehm aufstößt, so versucht sein Tischnachbar mit Sicherheit, ihn übertrumpfend, das nächste Haar in der Suppe zu finden, und die Dame einen Tisch weiter wird schließlich das ganze Menü als ungenießbar empfinden. Fokke wusste, er kochte für einen Haufen übersättigter Klugscheißer, aber er wusste auch, wenn alles perfekt wäre, wenn sein Menü einfach jenseits jeglicher Kritik eine makellose Ode an die Sinnenlust war, dann hatte er gewonnen. Dann würde er nie wieder einen Gedanken an den Tag verschwenden, an dem er dem Gerichtsvollzieher den Schlüssel für die »Auster« übergeben musste.
    »Entweder diesen oder den Moenchenberger Pinot Gris, was meinst du?« Gunnar hielt eine weitere Flasche gegen das Licht, wiegte den Kopf hin und her und schien in ein tiefes Grübeln zu verfallen. »Sag doch was, Fokke, komm, den Weißwein wollen wir heute noch festmachen. Der Rote soll noch ein paar Tage ruhen.«
    In Gunnar hatte er seinen Meister gefunden, zumindest was die Weine und den vollendeten Service betraf. Als Fokke damals die »Auster« von seinem Vater übernommen hatte, da war ihm der Kopf so voller Ideen und Phantasien gewesen, und es war ihm wie ein Zugeständnis des Schicksals erschienen, als er dort einen absolut kompetenten und fast gleich gesinnten Restaurantleiter übernehmen konnte. Zuvor war er mehr als nur einmal belächelt worden, wenn er die Weinflaschen trug wie Neugeborene, wenn er sie verhätschelte und zig Male sortierte. Und dann war ihm Gunnar mit dem Weinwagen begegnet, er hatte ihn selbst gebaut, um die kostbaren Tröpfchen in verschieden temperierten Schubladen sicher zu transportieren, und von diesem Moment an waren sie ein Team. Beide wussten, ein guter Wein setzte dem Essen die Krone auf, vorausgesetzt, man legte überhaupt Wert auf königliche Gaumenfreude.
    Zu einer Dose Ravioli konnte Fokke auch einen lauwarmen Weißwein aus der Flasche trinken, und es gab Tage, da tat er das auch, sogar mit Genuss. Doch wenn er kochte, wirklich kochte, wenn er Wassermengen millimetergenau abmaß, wenn er zarte Filets mit dem Sekundenzeiger im Visier auf den Punkt briet, dann musste auch der Wein als solcher zelebriert werden. Es musste alles passen, es musste stimmig sein, dann – und nur dann – war es perfekt.
    »Lass uns bei diesem hier bleiben«, antwortete er schließlich. »Es ist der richtige.«
    »Du bist der Einzige, der das sagen kann. Du bist schließlich auch der Einzige, der weiß, was es zu essen gibt.«
    »Verlass dich auf mich.« Fokke stand auf und band die Schürze los. Er wollte keine Sekunde zu lang hier bleiben. Dies würde sein letzter freier Abend für eine ganze Weile sein. Er freute sich auf eine warme Dusche, vielleicht einen Gang in die Sauna, auf jeden Fall eine Tüte Gummibärchen und später noch ein Frischgezapftes in der »Spelunke«.
    »Schönen Feierabend. Vergiss nicht, du wolltest noch bei deiner Mutter vorbeischauen.«
    Er hatte Gunnar gebeten, ihn daran zu erinnern, aber im Stillen gehofft, dass er es vielleicht vergessen würde. Seine Klamotten rochen nach Bratkartoffeln, er war verschwitzt und mit den Gedanken eigentlich ganz woanders, aber er hatte sich heute Morgen vorgenommen, sie zu besuchen. Es war nicht der Weg, den er scheute, ihr kleines Atelier war im selben Kellergeschoss wie die Küche, eigentlich nur ein paar Schritte weiter rechts am Ende des Ganges. Es war die Begegnung, die er zu vermeiden suchte.
    Er wusste, seine Mutter war seit einiger Zeit in Behandlung, und er wusste auch, dass er ihr noch längere Zeit aus dem Weg gehen würde. Sie war so leer, so blass, so weit weg von allem, was ihm wichtig war. Ihr langes, volles, nahezu schwarzes Haar war früher einmal ihr Stolz gewesen, eine Augenweide, doch vor zehn Monaten hatte sie es sich abgeschnitten. Sie hatte den dicken Zopf mit einer Küchenschere abgetrennt und in den Mülleimer geworfen. Er war dabei gewesen. Sie hatte vorher geweint und geflucht, und er hatte sie nicht daran gehindert, es zu tun. Und seit diesem Moment war sie anders. Und jedes Mal, wenn er sich mit ihr auseinander setzen musste, dann drehte sich sein Innerstes nach außen. Dann wurden all die schmerzlichen Erinnerungen wieder wach, und das längst verdrängte Gefühl des Versagthabens legte sich um ihn und machte ihn für einen kurzen Moment so lahm, als flösse Wachs in seinen Adern.
    Und je mehr er sich nun auf
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