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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin
Autoren: Sandra Lüpkes
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friesischer Tracht vor einem festlich gedeckten Tisch. Nun lag sie nackt im Dünental, und die Fotos von ihr würden mit Sicherheit nicht mit Weichzeichner aufgenommen werden.
    »Sie heißt mit bürgerlichem Namen Ronja Polwinski, studiert normalerweise in Hannover Psychologie und Touristik.«
    »Was man nicht alles so studieren kann…«, sinnierte Wencke.
    Siemen Ellers, der Juister Inselpolizist, war zu ihnen gekommen. Er war ein freundlicher Mann kurz vor der Pensionierung, der sich diesen überaus ernsten Blick und das scharfe Einsaugen der Luft von seinem liebsten Sonntagabendkrimi ausgeliehen hatte. »Sie war nicht von der Insel. Aber sie war hier wahrscheinlich ein bekanntes Gesicht.«
    Und ein verdammt hübsches, dachte Wencke, sagte aber nichts dergleichen. Sie stand auf und ging zu den Kollegen von der Spurensicherung, die ihre Beweisaufnahme abgeschlossen hatten und nun in einem Halbkreis um die Tote herum standen wie auf einem Begräbnis.
    »Sie ist sozusagen taufrisch«, sagte Gerichtsmediziner Riemer, als hielte er nun die Grabrede. »Keinerlei Zerhackstückelung, weder kleine Kratzer noch große Beulen, Flecken oder Dellen. Wenn ich sie so daliegen sehe, dann könnte ich schwören, sie steht gleich auf, zieht sich an und geht ihrer Wege. Ich habe noch nie eine so… lebendige Leiche gesehen.«
    Als wäre dies das Amen gewesen, breiteten zwei seiner Männer den großen schwarzen Plastiksack aus und machten sich daran, die Tote halbwegs ordentlich hineinzulegen.
    Wencke schaute in den Himmel. Sie würde gleich einen kurzen Spaziergang brauchen. Denn so flapsig sie mit den Mordopfern teilweise umging, wenn sie ihnen am Tatort direkt in die toten Gesichter schaute und die Details der grausigen Verletzungen studierte, so nahe ging es ihr, wenn die leblosen Körper dann im schmucklosen Zinksarg abtransportiert wurden.
    Dies war nicht die erste Leiche gewesen und auch bestimmt nicht die letzte. Sie hatte sich den Posten bei der Mordkommission bewusst ausgesucht, sie kam damit auch gut zurecht und konnte nachts ruhig schlafen. Dennoch hinterließ dieses »Einpacken und weg damit« bei ihr den schalen Geschmack von Endgültigkeit. Ein paar Schritte ohne Worte vom Tatort weg holten sie jedoch immer wieder zurück in die nüchterne Kriminalbeamtensichtweise.
    Meint kannte sie und ließ sie in Ruhe, als sie sich langsam vom Tatort entfernte. Sie fand den geschlungenen Trampelpfad durch die Dünen, der schließlich auf die rot gepflasterte Strandpromenade führte. Ab und zu gaben die wild bewachsenen Sandberge zu ihrer Linken den Blick auf einen riesigen, menschenleeren Strand frei, an dessen Ende sich das Meer die Ehre gab, in Erscheinung zu treten. Ein kleiner Weg führte zum Inseldorf hinunter, auf der Ecke lag eines dieser Strandcafés mit Aussicht, »Sturmklause – genießen Sie Kaffee und Kuchen, Eisspezialitäten und die große Auswahl auf unserer Speisekarte. Herzlich willkommen!«. Neben der Tafel war die Tür mit großen Sperrholzplatten vernagelt, alles schien bereits in eine Art Winterschlaf gefallen zu sein, der Sand hatte sich in den Fensterbänken gesammelt und gab dem Ganzen einen verlassenen Ausdruck, so als wäre seit Jahren kein Mensch mehr hier gewesen.
    »Herzlich willkommen!?« Wencke musste lachen. Die Zigarette, die sie sich eben angesteckt hatte, schmeckte nicht, sie ließ sie fallen, zertrat die Kippe auf dem brüchigen Backstein und sah die Glut mit dem Wind davonwehen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und wartete darauf, dass es salzig schmeckte, so wie sie es unzählige Male in maritimen Büchern gelesen hatte. Es schmeckte nach nichts. Dafür hörte sie das Rauschen, es klang wie das Geräusch im Gehäuse einer Wellhornschnecke, die man sich direkt ans Ohr hielt. Ansonsten war es weniger beeindruckend als von sämtlichen Inselfanatikern beschworen. Wencke fand es unbehaglich. Sie konnte und wollte dem Gedanken, sich auf einer Insel zu befinden, sich vom Meer umzingelt zu wissen, nichts Gutes abgewinnen. Ihr einziger Gewinn war eine große Portion Ehrgeiz, diesen Fall so schnell wie möglich zu klären, natürlich erfolgreich, um dieser Sandbank, die Juist hieß, bald zu entfliehen.
    »Kommission Sanddornkönigin, hmm?« Meint war ihr gefolgt. Nun ging er direkt neben ihr.
    »Wenn wir ein paar Schritte weitergehen, stehen wir direkt vor ihrem Schloss.«
    Die Promenade wurde breiter und endete auf einem großen Platz mit verwaisten Parkbänken und den Rudimenten eines
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