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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat
Autoren: Guillermo Del Toro
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kehrte ein weiterer Mann, einer von Jusefs Vettern, nicht mehr zurück. Und so ging es weiter und weiter.«
    »Und dann, Bubbe?«
    »Bis nur noch einer übrig war - Jusef, der Riesenjunge.
    Am folgenden Tag machte er sich selbst auf den Weg und fand in einer Gegend, die sie zuvor bereits abgesucht hatten, die sterblichen Überreste seines Vaters und all seiner Vettern und Onkel ordentlich vor dem Eingang einer Höhle aufgereiht. Ihre Schädel waren zwar mit großer Wucht zertrümmert, die Körper jedoch nicht angefressen worden. Offenbar hatte sie ein Raubtier mit ungeheuren Kräften getötet, doch weder aus Hunger noch aus Furcht. Der Herr Sardu hatte keinen konkreten Hinweis darauf - aber er fühlte sich beobachtet, ja aufmerksam studiert, von einem im Dunkeln dieser Höhle lauernden Wesen. Er trug die Leichname einen nach dem anderen von der Höhle fort und begrub sie alle tief. Natürlich schwächte ihn diese Anstrengung sehr, er war danach wie benommen,
farmutschet.
Doch so allein und verängstigt und erschöpft er auch sein mochte - in dieser Nacht kehrte er zu der Höhle zurück, um dem Bösen, das sich nach Einbruch der Dunkelheit zu erkennen gab, entgegenzutreten und seine Familie zu rächen oder bei dem Versuch zu sterben. Dies alles weiß man aus seinem Tagebuch, das viele Jahre später in den Wäldern gefunden wurde. Es war sein letzter Eintrag.«
    Abrahams Mund war leer und stand offen. »Aber was war geschehen, Bubbe?«
    »Genau weiß das niemand. Zu Hause, als aus sechs Wochen ohne eine Nachricht acht wurden und dann zehn, befürchtete man, die ganze Jagdgesellschaft sei verschollen. Ein Suchtrupp wurde zusammengestellt, der jedoch mit leeren Händen zurückkehrte. Dann, in der elften Woche, traf eines Nachts eine Kutsche mit zugezogenen Vorhängen auf dem Anwesen der Sardu ein. Es war der junge Herr. Er zog sich in seine Burg zurück, in einen Flügel mit leerstehenden Gemächern, und wurde nur noch selten gesehen, wenn überhaupt. Zu jener Zeit verfolgten ihn allerlei Gerüchte über das, was in den Wäldern Rumäniens geschehen war. Die wenigen, die behaupteten, Sardu erblickt zu haben - sofern diesen Berichten überhaupt geglaubt werden kann -, bestanden darauf, dass er von seinen Gebrechen geheilt worden sei. Einige munkelten gar, er sei mit ungeheuren Kräften zurückgekehrt, passend zu seiner übermenschlichen Größe. Doch so tief war Sardus Trauer um seinen Vater, seine Onkel und Vettern, dass er die meisten seiner Bediensteten entließ und tagsüber nie wieder gesehen wurde. Nachts rührte es sich in der Burg man sah flackerndes Kaminfeuer hinter den Fenstern -, aber im Laufe der Zeit verfiel das Anwesen der Sardu zusehends. Dann jedoch behaupteten manche, den Riesen in der Nacht durchs Dorf streifen zu hören. Besonders Kinder erzählten sich die Geschichte, das
Pick-pick-pick
seines Gehstockes gehört zu haben, auf den Sardu sich nun nicht länger stützte, sondern den er benutzte, um sie aus ihren Nachtlagern zu rufen und ihnen Süßigkeiten und billigen Schmuck zu geben. Ungläubigen zeigte man die Abdrücke im Boden, manche unmittelbar vor den Schlafzimmerfenstern, kleine gestocherte Löcher - wie von seinem Gehstock mit dem Wolfskopf. «
    Die Augen seiner
bubbe
verdunkelten sich. Sie blickte auf seine Schale und sah, dass der Großteil der Suppe aufgegessen war.
    » Dann, Abraham, verschwanden die ersten Bauernkinder.
    Und man erzählte sich, dass auch in umliegenden Dörfern Kinder vermisst wurden. Selbst in meinem Dorf. Ja, Abraham, als kleines Mädchen wuchs deine Bubbe gerade mal einen halben Tagesmarsch von Sardus Burg entfernt auf. Ich erinnere mich an zwei Schwestern. Auf einer Waldlichtung fand man ihre Leichen, so weiß wie der Schnee um sie herum, die offenen Augen vor Frost glänzend. Ich selbst hörte eines Nachts, von gar nicht so weit entfernt, dieses
Pick-pick-pick
- ein durchdringendes, rhythmisches Geräusch. Schnell zog ich mir die Decke über den Kopf, um es nicht hören zu müssen, und danach habe ich viele Nächte lang nicht geschlafen.«
    Abraham verschlang das Ende der Geschichte zusammen mit dem Rest der Suppe.
    »Irgendwann war Sardus Dorf fast menschenleer und verlassen, und auf dem Ort lag ein Fluch. Die Zigeuner, die mit ihren Wagen über das Land zogen und ihre fremdartigen Waren verkauften, wussten von sonderbaren Dingen zu berichten, die sich dort zutrügen, von Geistern und anderen Erscheinungen in der Nähe der Burg. Von einem Riesen, der im Mondschein
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