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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat
Autoren: Guillermo Del Toro
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einer Hebamme. Er assistierte Piloten dabei, Flugzeuge voller Seelen sicher aus dem Schoß des Universums auf die Welt zu bringen. Jetzt jedoch verspürte er quälende Ängste - ähnlich denen eines Arztes bei seiner allerersten Totgeburt.
     
    Terminal 3: Rollbahn
     
    Lorenza Ruiz war unterwegs zum Flugsteig. Sie fuhr ein mobiles Gepäckband, im Prinzip eine hydraulische Rampe auf Rädern. Als 753 nicht wie erwartet um die Ecke kam, rollte sie etwas weiter vor, um nachzusehen, denn sie war gleich mit ihrer Pause dran. Sie trug Lärmschutz-Kopfhörer, ein Kapuzen-Shirt mit dem Logo der Mets unter der Reflektor-Weste und eine Schutzbrille - dieser Runway-Schotter war ein fieses Zeug. Die orangefarbenen Leucht-Einwinkstäbe lagen neben ihr auf dem Sitz.
    Was zum Teufel?
    Lorenza setzte die Schutzbrille ab, als traute sie ihren Augen nicht. Da war sie, eine Boeing 777, ein dickes Mädchen, eine der neuen Maschinen der Flotte - draußen auf Foxtrot im Dunkeln.
Völlig
dunkel, nicht einmal Positionslichter an den Tragflächen. Der Himmel war diese Nacht leer, der Mond und die Sterne ausgelöscht - einfach nur ... nichts. Das Einzige, was Lorenza sah, war die glatte Oberfläche des Rumpfes und der Tragflächen, die schwach im Licht der Landescheinwerfer im Anflug befindlicher Flugzeuge leuchtete.
    »Jesus Santisimo!
«, flüsterte sie.
    Sie aktivierte das Funkgerät und machte Meldung.
    »Wir sind schon unterwegs«, antwortete ihr Vorgesetzter. »Die oben im Krähennest wollen, dass du rausfährst und mal einen Blick draufwirfst.«
    »Wer? Ich?«
    Lorenza runzelte die Stirn. Das hatte man davon, wenn man neugierig war ...
    Also fuhr sie los, folgte zunächst den markierten Fahrspuren weg vom Passagier-Terminal, überquerte dann die auf das Vorfeld gemalten Markierungslinien der Rollbahn. Sie war angespannt und extrem wachsam - so weit hinaus war sie noch nie gefahren. Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA hatte strikte Regeln, wie weit mobile Förderbänder und Gepäckwagen fahren durften, daher hielt sie die Augen nach auf dem Vorfeld rollenden Flugzeugen auf.
    Endlich bog sie hinter den blauen Markierungslampen am Rand der Rollbahn ab. Das Flugzeug wirkte so, als wären sämtliche Systeme komplett heruntergefahren worden, vom Bug bis zum Heck. Keine Positionslichter, keine Antikollisionslichter, kein Licht hinter den Kabinenfenstern. Normalerweise konnte man sogar vom Boden, also neun Meter von unten, durch die winzigen Frontscheiben, die wie Augen schräg über der charakteristischen Nase der Boeing standen, hoch ins Cockpit sehen, zu den Schalttafeln an der Decke und den dunkelkammerrot leuchtenden Instrumenten.
    Aber da war nichts, kein einziges Licht.
    Lorenza verharrte etwa zehn Meter von der Spitze der linken Tragfläche entfernt. Wenn man lange genug auf dem »luftseitigen« Bereich eines Flughafens arbeitete - und bei ihr waren das nun schon acht Jahre, länger als ihre beiden Ehen zusammengenommen -, dann schnappte man so das eine oder andere auf. Die verschiedenen Steuerungsklappen und Auftriebshilfen an der Flügelhinterkante standen alle senkrecht nach oben, so wie die Piloten sie unmittelbar nach Aufsetzen auf der Landebahn einstellen. Die Turbinen standen still, obwohl sie, selbst nachdem sie abgeschaltet waren, normalerweise eine ganze Weile brauchten, um völlig zur Ruhe zu kommen, und dann immer noch größere Schwebepartikel und Insekten einsaugten wie ein gigantischer Staubsauger. Also war dieses große Baby sauber gelandet, war brav und sicher bis hierhergekommen und dann plötzlich
Licht aus.
    Noch alarmierender war jedoch, dass, was auch immer schiefgegangen war, in einem Zeitraum von zwei, höchstens drei Minuten nach Erteilung der Landeerlaubnis passiert sein musste.
Was kann in so kurzer Zeit so gründlich schiefgehen?
    Lorenza rollte etwas näher heran. Wenn diese Strahltriebwerke plötzlich losgingen, wollte sie nicht eingesaugt und zerstückelt werden wie eine Kanadagans. Sie fuhr an die Frachtluke heran, zu jenem Bereich des Flugzeugs, der ihr am vertrautesten war, und hielt unter dem hinteren Ausstieg. Sie zog die Handbremse an und lenkte das Rollband mit dem Joystick nach oben bis zu einer Neigung von etwa dreißig Grad. Nicht genug, aber immerhin. Sie stieg aus, griff sich die Einwinkstäbe und ging die Rampe zu dem toten Flugzeug hoch.
    Tot?
Wie kam sie darauf? Das Ding war doch nie lebendig gewesen ...
    Aber für einen kurzen Augenblick kam Lorenza das Bild einer riesigen faulenden
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