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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Sohn zu. Auf Rogers versteckte Drohung ging sie nicht ein. Stattdessen fragte sie: »Wie meinen Sie das, dass Sie die ›Mittel‹ haben, um ihre Stelle einzunehmen?«
    »Ganz einfach«, antwortete Roger. Er schien sie misszuverstehen, ohne sich dessen bewusst zu sein. »Ich bin jetzt einundzwanzig. Ich bin volljährig. Gestern habe ich das Erbe meines Vaters angetreten.«
    »Natürlich«, fügte er hinzu, als könnte Linden das vergessen haben, »hat er alles meiner Mutter hinterlassen. Die Haven-Farm. Seine Tantiemen. Aber sie ist bei der Einlieferung hier als unzurechnungsfähig erklärt worden. Ms. Roman – Sie kennen sie, die Anwältin meines Vaters – hat den Nachlass bisher treuhänderisch verwaltet. Aber jetzt gehört alles mir.« Sein Lächeln zeugte von Selbstzufriedenheit. »Sobald ich Sie dazu überredet habe, sie zu entlassen, werden sie und ich auf der Haven-Farm wohnen. Das wird ihr gefallen. Mein Vater und sie waren dort glücklich.«
    Linden unterdrückte ein Ächzen. Thomas und Joan Covenant hatten auf der Haven-Farm gelebt, bis seine Lepra diagnostiziert worden war. Dann hatte sie ihn verlassen, sich von ihm losgesagt, sich von ihm scheiden lassen, um ihren Sohn vor Ansteckung zu schützen. Bestimmt hatte sie geglaubt, das Richtige zu tun. Trotzdem hatte das Wissen um die eigene Schwäche – das Bewusstsein, ihr Treuegelöbnis gebrochen zu haben, als ihr Mann sie am meisten gebraucht hatte – dem Verächter die Möglichkeit gegeben, in ihrer Seele Fuß zu fassen. Ihr Schamgefühl war fruchtbarer Boden für die Saat von Verzweiflung und Wahnsinn gewesen.
    Und als sie bis auf den Drang, das Blut ihres Exmanns zu verzehren, bar jeglichen bewussten Impuls gewesen war, hatte Covenant sie bis zu seinem Ende auf der Haven-Farm gepflegt. Bei der Vorstellung, Joan könnte es ›gefallen‹, wieder dort zu leben, stiegen Linden fast Tränen in die Augen.
    Und Roger hatte ihre eigentliche Frage nicht beantwortet.
    »Das habe ich nicht gemeint«, stellte sie mit gepresster Stimme richtig. »Sie haben gesagt, sie habe Sie aufgefordert, ihre Stelle einzunehmen, falls sie versage. Jetzt besäßen Sie die Mittel dafür.«
    »Habe ich das gesagt?« Sein Lächeln blieb ausdruckslos. »Sie müssen mich falsch verstanden haben. Jetzt kann ich Ihre Stelle einnehmen, Doktor Avery. Ich habe genug Geld, um mich um sie kümmern zu können. Wir haben ein Heim. Und ich kann mir jegliche Hilfe leisten, falls ich welche brauche. Sie ist nicht die Einzige, die versagt hat.«
    Linden runzelte die Stirn, um ein leichtes Zusammenzucken zu tarnen. Sie selbst hatte Joan gegenüber versagt; das war ihr bewusst. Sie versagte bei allen ihren Patienten. Aber sie wusste auch, dass ihr Versagen nebensächlich war. Es konnte den Wert oder die Notwendigkeit ihrer selbst gewählten Arbeit nicht mindern. Und sie wusste recht gut, dass sie Roger nicht falsch verstanden hatte.
    Sie beschloss abrupt, keine weitere Zeit mehr damit zu vergeuden, ihn auszufragen. Er schien immun gegen alle Befragungsversuche, und er hatte nichts vorzubringen, das sie hätte umstimmen können. Bestimmt würde er gehen, wenn er seine Mutter gesehen hatte. Ohne ihm zu widersprechen, zog sie ihn weiter mit sich zu Joans Zimmer. Auf dem Weg dorthin erklärte sie ihm: »Hier oben sind die unruhigeren Patienten untergebracht. Sie sind nicht notwendigerweise verwirrter oder haben mehr Schmerzen als die Leute im Erdgeschoss. Aber bei ihnen treten unterschiedliche Formen von gewalttätigen Symptomen auf. So haben wir Ihre Mutter seit ungefähr einem Jahr mit Gurten am Bett fixieren müssen. Davor ...« Linden ersparte sich vorläufig weitere Einzelheiten, indem sie Joans Tür mit der Schulter aufdrückte und Roger ins Zimmer seiner Mutter führte.
    Draußen auf dem Flur drängten die typischen Krankenhausgerüche sich weniger auf, aber hier waren sie unverkennbar: eine unausrottbare Mischung aus Betadyne und Blut, scharfen Putzmitteln und Urin, Schweiß, Angst, Bohnerwachs und Narkotika, alles durch eine unerklärliche Beimischung von Formalin unterstrichen. Aus irgendeinem Grund brachte medizinische Betreuung stets dieselben Gerüche hervor.
    Im Vergleich zu Einzelzimmern im County Hospital nebenan war das Zimmer recht geräumig. Ein großes Fenster ließ die Art Sonnenschein ein, die fragilen Psychen manchmal half, ihr Gleichgewicht zurückzugewinnen. Das Bett stand mitten im Zimmer. An einer Wand starrte ein schwarzer Fernsehbildschirm von einer drehbaren
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