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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07
Autoren: Stephen R. Donaldson
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leise: »Wer hat sie geschlagen?«
    Das klang nicht zornig. Verdammt, dachte Linden, es klingt kaum interessiert ...
    Sie seufzte. »Diese Wunde hat sie sich selbst zugefügt. Deshalb mussten wir ihre Handgelenke fixieren.«
    Sie trat ans Bett, griff nach einigen Wattebäuschen, befeuchtete sie mit steriler Kochsalzlösung und tupfte damit behutsam Joans Wange ab. Ohne viel Druck auszuüben, wischte sie vorsichtig das Blut weg, bis sie die nässende Wunde erreichte, und bemühte sich, diese mit weiteren Wattebäuschen zu säubern, ohne Joan dabei Schmerzen zuzufügen.
    Linden hätte diese ihr anvertraute Frau ohnehin gewissenhaft betreut; aber ihre Liebe zu Thomas Covenant bewirkte, dass sie Joan besonders sanft und rücksichtsvoll behandelte.
    »Das hier hat vor ungefähr einem Jahr angefangen. Bis dahin hatten wir Joan im Erdgeschoss. Sie war so lange völlig passiv, dass wir nie an Selbstgefährdung gedacht hätten. Aber dann hat sie angefangen, sich an die Schläfe zu schlagen. So fest sie nur konnte.«
    Fest genug, um eine Hornhaut an den Fingerknöcheln zu bekommen.
    »Zu Anfang hat sie es nicht sehr oft getan. Nur alle paar Tage, nicht öfter. Aber das hat nicht lange gedauert. Bald geschah es mehrmals täglich, dann mehrmals stündlich. Wir haben sie hierher verlegt und mit Gurten fixiert. Das schien eine Zeit lang zu nützen, aber als sie aus den Gurten rausgekommen ist ...«
    »Rausgekommen?«, fragte Roger plötzlich. »Wie?«
    Seit er das Zimmer betreten hatte, sah er erstmals nicht Joan, sondern Linden an.
    Sie wich seinem Blick aus, sah aus dem Fenster. Über dem Klotz des benachbarten County Hospitals konnte sie einen Streifen blauen Himmels sehen: ein makelloses, fast leuchtendes Azur. Im Frühjahr erlebte die County manchmal Tage wie diesen, an denen die Luft sie an Diamondraught erinnerte und der endlose Himmel weit genug erschien, um alles Leid der Welt in sich aufzunehmen. Heute jedoch gewährte ihr der Himmel nur schwachen Trost.
    »Das wissen wir nicht«, gab sie zu. »Wir haben es nie herausbekommen. Meistens passiert es nachts, wenn sie allein ist. Wir kommen morgens herein, finden sie befreit vor. Mit blutender Schläfe. Mit Blut an der Faust. Einige Zeit lang haben wir sie Tag und Nacht überwacht. Dann haben wir Videokameras aufgestellt, alles aufgezeichnet. Soweit wir es beurteilen können, fallen die Gurte einfach von ihr ab. Danach schlägt sie sich, bis wir sie wieder fixieren.«
    »Und das tut sie weiterhin?« Rogers Stimme klang drängender.
    Linden wandte sich ihm wieder zu. »Nicht mehr so häufig wie früher. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Videofilme kopieren lassen. Dann sehen Sie selbst, was passiert. Jetzt tut sie es pro Nacht nur noch drei- bis viermal. Gelegentlich auch tagsüber, aber nicht oft.«
    »Was hat sich geändert?«, fragte er.
    Während Linden ihn betrachtete, erinnerte sie sich daran, dass sein Vater alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um Joan und sie zu beschützen. Rogers starrer Blick vermittelte den Eindruck, dass er derlei wohl nicht getan hätte.
    Lindens Schultern sanken herab, und sie seufzte wieder. »Mr. Covenant, das müssen Sie verstehen. Sie war im Begriff, sich selbst umzubringen. Sie war dabei, Schlag für Schlag Selbstmord zu verüben. Wir haben alles versucht, was uns nur eingefallen ist. Sogar Elektroschocks, die ich verabscheue. In den ersten sechs bis sieben Monaten haben wir ihr eine ganze Apotheke von Sedativa, Tranquilizern, Schlafmitteln, Stimulanzien, Neuroleptika, Beta-Blockern, SSRIs und krampflösenden Mitteln verabreicht – genügend Medikamente, um ein Pferd ins Koma zu versetzen. Nichts davon hat angeschlagen; nichts konnte sie auch nur bremsen. Sie war dabei, sich selbst umzubringen.«
    Anscheinend erforderte irgendetwas in ihrem Inneren diese Schläge. Linden hielt es für möglich, dass der alte Feind des Landes in Joans zerrüttetem Verstand einen verzögert wirksamen Zwang wie einen posthypnotischen Befehl zurückgelassen und ihr so befohlen hatte, sich selbst zu töten.
    Nicht zum ersten Mal fragte Linden sich, was Sheriff Lytton in der kurzen Zeit, in der Joan in seiner Obhut gewesen war, zu ihr gesagt oder mit ihr angestellt hatte. Als Julius Berenford nach der Ermordung Covenants zur Haven-Farm hinausgefahren war, hatte er dort Joan angetroffen: verwirrt und ängstlich, ohne Erinnerung daran, was passiert war, aber ansprechbar und zu Antworten fähig. Um Covenant und Linden ungestört suchen zu können, hatte
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